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Archiv-Artikel

Unmoralisches Angebot

Weil zur WM alle Hotelbetten längst belegt sind, weichen immer mehr Schlachtenbummler auf Privatwohnungen aus – und sind oft bereit, astronomische Preise zu zahlen. Ein gutes Geschäft?

VON KIRSTEN REINHARDT

Das unmoralische Angebot kam per E-Mail:

„Suche Wohnung für die WM – für fünf Bekannte. Zeitraum: 22. 6. bis 2. 7. Sind bereit, 500 bis 1.000 Euro pro Nase zu zahlen.“ Da kommt man schon ins Grübeln, wollte man nicht sowieso mal wieder mehr Nähe zur Natur; warum nicht einfach zwei Wochen an der S-Bahn-Endhaltestelle zelten? Soll ganz hübsch sein da. Man kommt auch ganz praktisch zur Arbeit und überhaupt – für ein paar Tausender könnte man eigentlich ein paar Wochen aufs eigene Bett und die Lieblingstasse verzichten …

Die Mitwohnagenturen haben den großen Wohnbedarf zu Weltmeisterschaft natürlich längst entdeckt, viele bieten einen speziellen Service für Fußballnomaden an. „Immobilienscout 24“ etwa appelliert mit der Initiative „Übernachten bei Freunden“ an leere Portemonnaies und die Gier der Deutschen: „Inserieren Sie Ihre Zimmer oder Ihre Wohnung und verdienen Sie bares Geld mit der WM 2006.“

Bares Geld … ist das nun niedriger Beweggrund oder praktische Denke? Immerhin, es ist bares Geld. Als prekär lebender, moderner Nomade folgt man dessen Ruf – wenn man denn nicht einem Praktikum oder der Liebe hinterherreist in die nächste Stadt. Und die verwaiste Wohnung will bewohnt – und bezahlt werden.

Was in diesen Tagen und Wochen passiert, hat auch irgendwie mit modernem Nomadentum zu tun. Vielleicht sind es entfesselter Kleinkapitalismus oder entfesselte Fußball-Emotionen; vielleicht kann man es einfach Gastfreundlichkeit nennen: die WM-Vermietung. Endspurt!

Die Agenturen sind auch Rettungsanker für Fußballmuffel, die ihr Heim am Schauplatz des Schreckens vermieten und für das Geld weit weg in eine fußballfreie Zone fahren wollen. „Wir haben auch Anti-Fußball-Fans“, erzählt Thomas Vierus, Inhaber der Home Company Berlin, „die sagen: Ich biete meine Wohnung zur WM an und fahre mit dem Geld weg.“ Über die Internetseite seiner Firma haben schon dutzende Fachleute und Journalisten aus aller Welt, aber auch zwei mexikanische Hardcore-Fußballfan-Familien eine bundesrepublikanische Bleibe für die Dauer der WM gefunden.

Vier Wochen sind es vom Anpfiff bis zum Endspiel. Und sechs Wochen lang darf man Besuch in der eigenen Wohnung haben, ohne ihn dem Vermieter melden zu müssen. Aber: wer ohne dessen Zustimmung untervermietet, riskiert eine Kündigung. „Unerlaubte Gebrauchsüberlassung an Dritte“ heißt das im Paragraf 540 des BGB. Wenn sich etwa ein international bekannter Hooligan als WM-Gast ankündigt hat, kann der Vermieter seine Erlaubnis verweigern.

Wer haftet, wer zahlt?

Wenig ratsam ist es auch, die Wohnung heimlich an britische Schlachtenbummler zu verschachern. Ist der Untermieter besonders laut und verstößt mit permanentem Feiern gegen die Hausordnung, trägt man selber die Verantwortung. Auch wenn man selbst gerade bei Kerzenschein im Zelt Thomas Bernhard liest und fernab des WM-Trubels dem Weltekel frönt. Und was, wenn der Untermieter in einem Tobsuchtsanfall, nachdem seine Mannschaft 6:0 rausgeflogen ist, den Fernseher aus dem Fenster wirft? Oder Bierduschen im Bad veranstaltet, das hernach neu renoviert werden muss? Wer haftet und wer zahlt? Die Rechtsanwältin und Vorsitzende des Mieterschutzbundes Frigga Döscher hält die WM-Untervermietung für höchst problematisch. Sie würde ihr Heim nicht untervermieten. Selbst wenn ein Vertrag gemacht würde. „Falls die Untermieter im Siegestaumel die Wohnung verhunzen oder die Bude am Ende leer ist, sind die Verantwortlichen nach der WM über alle Berge, und die ausländischen Justizapparate sind oft noch viel schleppender als unsere.“ Wenn überhaupt vermieten, dann nur mit: Menschenkenntnis bei der Auswahl des Mieters, Vertrag, Kaution, Vorkasse und Ausweis.

Wenn man keine eindeutigen Angebote per Mail bekommt – wie viel kann man für seine Bude verlangen? Lohnt sich der Umzug ins Zelt?

Eine höhere Miete als die eigene zu verlangen, sei legitim, sagt Thomas Vierus. „Normalerweise ist das ein Aufschlag von 30 bis 40 Prozent. Schließlich nutzen Möbel ab und es fallen Nebenkosten an.“ Gibt es eine Grenze? – „Die Grenze macht der Markt“, so Vierus. Und so steigen zur WM die Preise bis auf das Doppelte. Betreibt man aber WM-Wucher und vermietet seine schimmelige Kreuzberger Hinterhofwohnung zum Preis eines Penthouses in Charlottenburg, hat man Einkünfte, die versteuert werden müssen.

Sinnvoll ist außerdem, eine Inventarliste anzulegen mit allem, was einem lieb und teuer ist. Und das Telefon sollte man vielleicht besser ausstöpseln: Wenn der Untermieter allabendlich die Angebetete an der Elfenbeinküste anruft, kommt die Rechnung erst, wenn er schon längst wieder bei ihr ist.

Die eigene Wohnung untervermieten ist eben so eine Sache. Jemand schläft in deinem Bett, trinkt Kaffee aus der Lieblingsteetasse oder wühlt, wenn ihm langweilig ist, in Kisten nach Fotoalben und Unterwäsche und lacht sich schlapp über die Fotos vom Siebzigsten der Großtante und deren letztes Geschenk: ein praktisches Feinripp.

Die fünf Bekannten sind übrigens gute, alte Freunde eines Kollegen. Sehr verlässliche Aserbaidschaner. Arbeiten bei der Weltbank, einem Gasunternehmen, einer leitet ein Filmstudio und einer eine NGO. Klingt interessant. Das ist eine Überlegung wert. Vielleicht sollte man die Wohnung vermieten – und selber auch dableiben. Es könnte ja sein, dass man nette Menschen kennen lernt.