Der getriebene Botschafter

Auch wenn ihn viele gerne als Privatier sähen: Reiner Calmund ackert dampfplaudernd als Nordrhein-Westfalens WM-Botschafter. Seinen Zuhörern hämmert er „positive Beklopptheit“ ein

„Normalerweise passen deine Freunde nach so einer Sache nur noch in ein Goggomobil“

AUS DÜSSELDORFKLAUS JANSEN

Sumo-Ringer. Bitte nicht dieser Vergleich. Zu sehr drängt er sich auf, wenn Reiner Calmund vor einem Saal voller Japaner spricht. Doch Nordrhein-Westfalens WM-Botschafter erspart sich nichts. „Keine Verwechslung, ich bin kein Ringer, ich esse nur so viel. Würstchen, aber auch Sushi.“ Die Dolmetscherin übersetzt fast simultan. Nach zwei Sekunden Verzögerung wird gelacht.

Calmunds Stimme klingt zu Beginn seiner Rede dünn. Er wirkt kurzatmig. Es sind viele Auftritte gewesen in den vergangenen Monaten, und in den vergangenen Wochen sind sie immer schwerer geworden. Calmund ist ein WM-Botschafter unter Beobachtung. Eine Werbefigur auf Abruf ist er für viele, seit die Kölner Staatsanwaltschaft gegen ihn Ermittlungen aufnahm, wegen Untreue und zunächst auch wegen des Verdachts auf Spielmanipulationen.

Ginge es nach denen, für die Calmund botschaftert, würde er den Job wohl längst nicht mehr machen. „Ich verweise darauf, dass ihn die alte Landesregierung berufen hat“ – so äußert FDP-Sportminister Ingo Wolf seine Zuneigung. Sein Ministerium legte Calmund den freiwilligen Rücktritt nahe. Andere wollten die „Belastung“ gleich „wegräumen“. Doch Calmund bleibt. Ein Rücktritt wäre ein Schuldeingeständnis, sagte er.

Calmund hat beschlossen zu kämpfen. Auch hier im Düsseldorfer Radisson-Hotel, auf dem Deutsch-Japanischen Wirtschaftstag 2006. Er spricht ohne Manuskript, schwitzend, gestikulierend, eine Dreiviertelstunde lang. Ein Getriebener. Er kalauert darüber, dass Japaner überall fotografieren und dass das WM-Logo mit seinen schmaläugigen Smileys asiatisch aussehe. Immer wieder beschwört er „Leidenschaft, Aufbruchsstimmung, positive Beklopptheit, Toleranz“. Positiv denken ist seine Mission – dafür hämmert er seine Sätze im Stakkato. Ab und zu streut er Zahlen ein, Auswirkungen der WM aufs Brutto-Inlandsprodukt und auf den Arbeitsmarkt – doch das ist zweitrangig. Natürlich kann Calmund die japanischen Unternehmer nicht beeindrucken – zu sehr klingen seine Motivations-Placebos wie eine Instant-Version von McKinsey. Aber er liefert auch Folklore, Einsatz und Freundlichkeit. Mehr Botschaft braucht es nicht für ein Fußballturnier.

„Ich weiß, dass diejenigen, die im Land was zu sagen haben, zu mir halten“, sagt Calmund. Wahrheit oder Autosuggestion? Er zählt seine Termine auf, seine Jobs für RTL und als Werbeträger für Fuji-Film, als müsse er sich beweisen, dass er noch gebraucht wird. Dass vom „System Calmund“ die Rede war, hat geschmerzt. Dass ihn die Leverkusener Fans trotz Affären gefeiert haben, hat ihn aufgebaut. „Das war optimal“, sagt er. „Normalerweise passen deine Freunde nach so einer Sache nur noch in ein Goggomobil, auch wenn sie vorher in einen Jumbo-Jet gingen. Das war diesmal anders.“

Dass Calmund Spiele verschoben hat, kann ihm nicht nachgewiesen werden. Auch die Ermittlungen wegen Untreue stehen vor der Einstellung – gegen eine Geldbuße. Calmund weiß noch nicht, ob er annehmen soll. „Das klären meine Anwälte mit der Staatsanwaltschaft“, sagt er.

Auch die Landesregierung weiß noch nicht, wie sie mit solch einer Ermittlungs-Einstellung zweiter Klasse umgehen würde. Zu deutlich erscheint der Verdacht, dass Calmund, der große Trickser und erklärte Schlawiner, nicht immer astrein gearbeitet hat. Dass in Leverkusen allzu großzügig mit Bayer-Geld umgegangen wurde, hätte aber den Verantwortlichen in Konzern und Landesregierung auch ohne den Auftritt einiger Journalisten klar sein müssen. Weil man das weiß, werden die Politiker wohl warten, bis die Causa Calli sich selbst erledigt: Mit der WM läuft sein Botschafter-Vertrag nämlich aus.

Bis dahin wird Calmund weiter repräsentieren. Am Abend geht es nach Köln, es gibt eine Gala für Ehrenamtler. „Ich mach das gerne. Aber ich bin auch ganz froh, dass in den nächsten Wochen nicht mehr so viele Termine kommen“, sagt er. Froh auch, dass die WM bald beginnt. Und dass er dann Fußball gucken kann. Egal, ob als Botschafter oder Privatier.