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Archiv-Artikel

Lieblingsrolle: Bösewicht

Wie es Roland Koch ziemlich weit nach oben geschafft hat – und warum er jetzt aufhören muss

Drei Stationen in der Karriere des Herrn Koch

 Unterschriftenkampagne: Anfang 1999 starten CDU/CSU eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die die rot-grüne Bundesregierung erlauben will. Besonders hervor tut sich dabei der zuvor kaum bekannte Landespolitiker Roland Koch, der im hessischen Landtagswahlkampf mit der Unterschriftensammlung beginnt. An den Ständen unterschreiben 200.000 Menschen, viele von ihnen nach eigenem Bekunden „gegen Ausländer“. Im Februar 1999 gewinnt Koch die Wahl und wird Ministerpräsident.

 Spendenskandal: Im Zuge der Spendenaffäre der Bundes-CDU wird Anfang 2000 bekannt, dass auch die hessische CDU jahrelang Schwarzgeldkonten geführt hat. Mehrfach wurden illegale Parteispenden ins Ausland verschoben und als Erbschaft verstorbener jüdischer Bürger zurückgebucht. Koch leugnet, davon gewusst zu haben, und verspricht „brutalst mögliche“ Aufklärung, muss aber später einräumen, dass er doch unterrichtet war. Auch sein Wahlkampf 1999 war teilweise mit Schwarzgeld finanziert worden.

 Krawallbruder: Immer wieder macht Koch mit krachledernen Bemerkungen von sich reden. Im Dezember 2002 wirft er bei einer Landtagsdebatte Ver.di-Chef Frank Bsirske vor, dessen Outing reicher Deutscher sei eine „neue Form von Stern an der Brust.“ Im Dezember 2007 versucht er auf bewährte Art eine Landtagswahl zu gewinnen, als er im Interview mit der Bild behauptet: „Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer.“ Noch Mitte Mai sorgt er mit dem Vorschlag, bei der Bildung zu sparen, für Aufmerksamkeit. (dzy)

VON GEORG LÖWISCH

Jetzt muss er schon wieder Rekorde brechen: der erste Ministerpräsident von Hessen, der so freiwillig abtritt. Der am genauesten geplante Abschied. Die Nachricht, die am sorgfältigsten geheim gehalten wurde. Roland Koch will sogar am Ende der Beste sein. Er muss.

Dabei hat er gerade das Scheitern eingestehen müssen, jedenfalls was sein größtes Ziel angeht. Das mächtigste, höchste, schwierigste Amt in seiner Lieblingsbeschäftigung, der Politik, das war doch sein Traum: Kanzler. Das Amt, für das ihn sogar Helmut Kohl empfohlen hat.

Doch jetzt ist Kohl achtzig, und Koch leuchten in Wiesbaden die Schweinwerfer merkwürdig auf den Scheitel, das Gesicht liegt im Halbschatten. Er sagt, dass Schluss ist mit der Politik – und spricht von „großer Zufriedenheit“, mit der er von seinen Ämtern zurücktrete, und von einer Zukunft in der Wirtschaft, mit 52 Jahren. Keine gesundheitlichen Gründe? Keine ausgefuchste Vorbereitung auf den Sprung nach Berlin? Kein Geheimplan? Darf man ihm das glauben?

Man darf. Denn wenn man sich die Geschichte von Roland Koch ansieht, kann man beides verstehen. Warum er jetzt aufhört. Und warum ihm keiner glaubt, dass er es einfach so tut.

Roland Koch kommt aus Eschborn bei Frankfurt. 1968 ist er zehn Jahre alt. Die CDU ist nicht gerade Mainstream unter den Jugendlichen. Die meisten tragen lange Haare und Strickpullis, Roland trägt als Teenager Schlips. Es macht ihm nichts aus, der Sonderling zu sein, der Picklige und der Böse. Sein Vater Karl-Heinz ist in der CDU, Roland gründet einen Ortsverband der Jungen Union. Viele seiner Generation entscheiden sich für einen Weg, der sich von dem ihrer Eltern unterscheidet. Koch nicht. Er will es nicht anders machen als der Vater. Nur besser.

Dass er ein so schmerzfreier Widerborst ist, imponiert vielen. Er wird Klassensprecher, steigt in der Jungen Union auf. In der Hessen-CDU tut er sich mit anderen Halbstarken zur Tankstellen-Connection zusammen, auf Bundesebene tritt er in den Andenpakt ein, beides Männerbünde auf dem Weg nach oben. Die Erfolge motivieren ihn. Kreisvorsitzender, Fraktionsvorsitzender, Landesvorsitzender – er lebt sich in die Politik hinein. Auf einem Parteitag fällt er Helmut Kohl auf, der ihn prompt zu sich einlädt.

Erstaunlich, dass so einer heute behauptet, er habe darauf geachtet, dass Mensch und Amt nicht miteinander verwachsen.

1999 kandidiert er als Ministerpräsident. Im Bund und in Hessen regiert Rot-Grün. Die CDU liegt weit hinten in den Umfragen, aber Koch will gewinnen. Er muss. Er setzt auf eine Kampagne gegen die Reform der Staatsbürgerschaft. Auf Hetze gegen Einwanderer. Und gewinnt. Koch wird Ministerpräsident, mischt an der CDU-Spitze mit, formt die ohnehin verschworene CDU in Hessen zu einem Kampfverband.

Umso merkwürdiger, dass jemand in so einer Blutsbrüderschaft nichts geahnt haben will von den schwarzen Kassen, die im Jahr 2000 auftauchen. Hessens CDU hat sich jahrelang mit Millionen von Geheimkonten in der Schweiz versorgt, das Geld für die Kampagnen entstammte dem illegalen Netz. Die Republik ist empört. Doch mit einem Mainstream umzugehen, der gegen ihn schimpft, ist Kochs Spezialität. Er macht sich zum Chef einer „brutalstmöglichen“ Aufklärung – und überlebt. Bei der nächsten Landtagswahl holt er sogar die absolute Mehrheit.

Nun arbeiten sie in der Staatskanzlei systematisch daran, ihn für Höheres zu empfehlen. Immer wichtiger wird Regierungssprecher Dirk Metz. Der dosiert Kochs Worte, sortiert dessen Auftritte, eicht die Strategien. In Interviews sitzt Metz neben Koch und schickt ihm Tipps per SMS; wäre es technisch möglich gewesen, hätte der Spindoktor sich vermutlich gern direkt ins Hirn des Regierungschefs eingeloggt.

Aber in der Landeshauptstadt Wiesbaden unterschätzen sie Angela Merkel. „Die Oberschwester“ wird sie abschätzig genannt. Chefarzt soll ein anderer werden. Aber Merkel spinnt in Berlin ihre Netzwerke. Sie holt sich den Fraktionsvorsitz, die Spitzenkandidatur, die Kanzlerschaft.

Nun versucht Koch so eng wie möglich mit ihr zusammenzuarbeiten. Natürlich misstraut sie ihm weiter. Vielleicht hat er seinen Traum zurückgestellt, aufgegeben sicher nicht. Jemandem, der so hart an seinem Aufstieg gearbeitet hat, kauft man nicht ab, ohne Hintergedanken zu handeln, die wiederum auf den Aufstieg zielen.

In seiner zweiten Amtszeit als Ministerpräsident möchte Koch endlich auch beliebt werden. Er zeigt sich gern mit seinem Freund, dem Dalai Lama. Metz tunt ihn auf weich und landesväterlich. Koch setzt sich für Zirkusbären ein, sogar für Einwandererkinder.

Vor der Landtagswahl 2008 sind ihm die Umfragen nicht gut genug. Strategiewechsel. Als ein Rentner in der Münchner U-Bahn von zwei Männern mit Migrationshintergrund überfallen wird, macht Koch das Thema ganz groß. „Wir haben zu viele junge kriminelle Ausländer!“, facht er in der Bild eine neue Kampagne an. Er handelt nicht aus Empörung oder Überzeugung heraus. Sondern aus Berechnung. Die Ressentiments gegen Einwanderer verbindet er mit schrillen Warnungen vor einer diffusen roten Gefahr: „Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen“, lautet die CDU-Parole. Die Kampagne misslingt. Am Ende retten ihn nur 4.000 Stimmen in ein Machtpatt.

Aber er ist wieder in seiner Lieblingsposition. Er kann das schaffen, was ihm keiner zutraut. Koch und seine Leute planen generalstabsmäßig. Sie organisieren, mobilisieren und machen Druck. Die Fehler begeht die SPD. Ypsilanti stürzt. Bei der Neuwahl schlüpft Koch in eine neue Rolle. Jetzt ist er der verlässliche Kapitän in der Wirtschaftskrise.

Was hätte er noch werden können? Ältester Ministerpräsident? Dienstältester Widerpart der Kanzlerin?

Die CDU rechnet mit einem Klasseergebnis, einem Rekord vielleicht. Koch darf wieder träumen. Aber die Wähler wollen ihn nicht. Gegen eine aufgeriebene SPD holt er mickrige 37 Prozent und kann sich nur durch ein gutes FDP-Ergebnis im Amt halten.

Immer wieder tauchen Spekulationen auf, Koch werde irgendwann doch Finanzminister bei Merkel. Aber wieso sollte sie, die ewig Misstrauische, das tun? Ihm gerade jetzt den Posten geben, der wichtiger und wichtiger wird? Auf einem Parteitag nennt sie ihn einmal versehentlich „Roland Kotz“.

Als Kochs Weggefährte Franz Josef Jung im Herbst als Verteidigungsminister zurücktreten muss, kommt der Moment, in dem endgültig klar wird, wie mächtig Merkel geworden ist. Ausgerechnet in seinem Kampfverband hat sie einen eigenen Günstling aufgebaut: Den Hessenplatz im Kabinett bekommt die 32 Jahre alte Kristina Schröder. Ihr Aufstieg und ihre Nähe zu Angela Merkel zeigen, dass sich aufstrebende Politiker schon länger nicht mehr an Koch hängen.

Vor ein paar Wochen hat er verlangt, auch bei Bildung und Kinderbetreuung zu sparen. Genau bei den Merkel-Themen. Die Kanzlerin machte klar, dass sie die Prioritäten festlegt. Und Kristina Schröder widersprach ihm rotzfrech, ausgerechnet die Frau aus seinem eigenen Landesverband.

Man muss kein so geübter Kalkulierer wie Koch sein, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der Junge aus Eschborn am Ende seiner politischen Möglichkeiten angekommen ist. Welche Höchstleistung sollte er denn bitte noch hinbekommen? Was hätte er noch werden können? Langjährigster hessischer Ministerpräsident? Dienstältester Widerpart der Kanzlerin?

Roland Koch will einen anderen Rekord aufstellen. Er will noch einmal das schaffen, was ihm keiner zugetraut hat. Am Ende ist das der Ausstieg aus der Politik. Und der Abschied vom Kanzlertraum.