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Archiv-Artikel

Wowereit der Sonnenkönig

Alle lieben Wowi: Ein SPD-Jubelparteitag wählt den Regierenden ohne Gegenstimme zum Spitzenkandidaten. In seiner Rede setzt Wowereit zum ersten Mal seit langem auf Inhalte

VON MATTHIAS LOHRE

Nur einmal, ganz am Anfang seiner Rede, trifft der Kandidat nicht den richtigen Ton. „Nominierungsparteitage sind immer die schönsten Parteitage!“, ruft Klaus Wowereit in den Saal des früheren Kinos Kosmos an der Karl-Marx-Allee. Doch die Reaktion der 195 Delegierten ist kühl. Kaum Applaus oder Gelächter. So viel Ironie wollen die auf ihre Debattierfreude stolzen Sozialdemokraten nicht hören. Selbst heute nicht, auf dem Wahlparteitag, der Wowereit effektvoll zum SPD-Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl kürt.

Deshalb korrigiert sich Wowereit schnell. Halb schnodderig, halb flehentlich sagt er: „Na, das hoffe ich jedenfalls.“ Er wird Recht behalten. Die Wowi-Show, die SPD-Chef Kurt Beck und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering eröffnet haben, geht jetzt richtig los. Sie beginnt mit überraschendem Lob und dauert über eineinhalb Stunden. An die fünf SPD-Senatoren auf dem Podium gerichtet, sagt Wowereit: „Sie können sich alle bundesweit sehen lassen in ihren Fachbereichen.“ Wer will, kann das als Unterstützung des oft gescholtenen Schulsenators Klaus Böger sehen, der sich nicht mehr um ein Abgeordnetenhausmandat bewirbt.

Namentlich nennt Wowereit nicht Böger, sondern Thilo Sarrazin. Ohne den knorrigen Finanzsenator hätte die rot-rote Koalition wohl kaum ihren harten Sparkurs durchgehalten. „Danke, Thilo“, sagt Wowereit, „Berlin hat viel von dir profitiert.“ Sarrazin, der selbst Münteferings Rede Akten lesend verbracht hat, blickt aufmerksam auf.

Mehr Applaus als für den ungeliebten Sarrazin gibt es für Wowereits Lob für den Partei- und Fraktionschef Michael Müller: „Du hast es geschafft – durch dein persönliches Engagement –, den Laden zusammenzuhalten.“ Dank dieser Leistung gilt Müller als heißer Anwärter auf einen Senatorenposten. Falls es nach der Wahl zu einer rot-grünen Koalition kommt, wäre der zurzeit von der Linkspartei besetzte Sessel des Wirtschaftssenators frei.

Danach geht alles ganz schnell. So ziemlich jedes Politthema aus fünf Jahren Regierungszeit bringt der 52-jährige Wowereit in seiner Rede unter, und die Zukunft gleich mit. Angefangen beim schmerzhaften Abschied von der Berliner „Subventionsmentalität“ über den so genannten Solidarpakt im öffentlichen Dienst und die Zusammenlegung von Charité und Benjamin-Franklin-Klinikum bis hin zur geplanten Eröffnung des Schönefelder Großflughafens im Jahr 2011. Der Regierende Bürgermeister will zeigen, dass er mehr kann als repräsentieren. Die Delegierten, die zuvor den Auftritt des Sängers Klaus Hoffmanns beklatscht haben („Die Armut schneidet Fratzen“), goutieren auch Wowereits Show.

Besonders froh macht die Mitglieder des traditionell linken Landesverbands Wowereits Ruf: „Ich gebe den Kampf nicht auf, dass die SPD Mehrheiten links der Mitte organisieren kann.“ Einzig Großkoalitionär Müntefering auf dem Podium sieht da nicht erfreut aus.

Ohne Redemanuskript absolviert Wowereit einen Parcours durch ungezählte Themen: Er fordert vom Bundestag einen Beschluss, um endlich den Nachbau des Stadtschlosses bezahlen zu können; von den Brandenburgern verlangt er ein eindeutiges Ja zur Länderfusion; er kündigt an, die überdurchschnittliche Zahl der Kitaplätze beizubehalten, und düpiert den Koalitionspartner Linkspartei, der das dreigliedrige Schulsystem abschaffen will: „Ich werde keinen Klassenkampf machen gegen Gymnasien.“

Als Wowereit auch noch den Nutzen der Fußball-WM erwähnt und eine Koalition „mit dieser Berliner CDU“ ausgeschlossen hat, erklärt er den Senatssparkurs kurzerhand zur sozialdemokratischen Tugend: Denn Schuldentilgung bewahre die Handlungsfähigkeit eines starken Staats, der dadurch unabhängig von „den Banken“ bleibe.

Der Rede folgen der obligatorische minutenlange Beifall im Stehen und die Wahl ohne Gegenstimme. Als der Applaus trotz Handküsschen nicht endet, geht Wowereit zurück zum Rednerpult und sagt: „Nominierungsparteitage sind immer die schönsten.“ Diesmal lachen alle.