: Neue Heimat statt Cruise-Missiles
Wo einst Raketen lagerten, soll bald ein Heim für behinderte Menschen entstehen. Studenten der Bauhaus-Universität in Weimar entwarfen schon einmal Gemeinschaftsräume für das brache Gelände auf der Insel Hombroich
Eine gerade Linie ist dieses Land zwischen Neuss und Grevenbroich. Auf der Linie wachsen Gras und ein paar Bäume. Rheinland eben. Nur ein paar alte und neue, dafür seltsam ausschauende Gebäude ragen unvermittelt an der Landstrasse in den Himmel. Bis in die Neunziger des letzten Jahrhunderts unterhielt hier die NATO eine Raketenstation. Sie ist inzwischen eine Ansiedlung von Künstlern und Wissenschaftlern geworden. Im Gebäude des Internationalen Instituts für Biophysik versammelten sich am Wochenende etwa 100 Gäste. Politiker, Architekten, Eltern und deren behinderte Kinder. Prämiert wurde dort der gelungenste Entwurf für einen neuen Gebäudekomplex: Auf der Raketenstation sollten Häuser für ein integratives Wohn- und Arbeitsprojekt für behinderte Menschen geplant werden.
Den Auftrag dafür erhielten Studenten der Bauhaus-Universität in Weimar. Im vergangenen Semester entstanden Zeichnungen und Modelle, die nun in vier Übersee-Blechcontainern ausgestellt wurden. Da gibt es viele gerade Linien. Pferdeställe für die Reittherapie in der Form eines Schuhkartons. Auch der Andachtsraum wurde in kantiger Sachlichkeit projektiert, alle Gebäude aneinander gereiht. Rechtecke und Würfel in den Rasen gesteckt, als hätte ein Ordnungsliebender seine Legosteine sortiert. Bauhaus eben. Der prämierte Entwurf von der Studentin Marie Ulber fällt dazu durch riesige Glasflächen auf. Die mächtigen, einzeln stehenden Bäume dürfen von draußen in alle und durch alle Zimmer schauen. Es scheint, als würde die Natur durch das Wohnen nur kurz unterbrochen. Ulber erklärt in geraden, knappen Sätzen ihre Idee: Die Siedlung entstehe an einem Weg, der fußläufig Grevenbroich mit der Raketenstation verbinden soll. Behinderte als Brücke zwischen einer Kleinstadt und einer Künstlerkolonie? „Ja“, sagt sie und konkretisiert ihren gezeichneten Plan von Werkstätten, einem Begegnungszentrum, einen Dorfplatz. In 15 Häusern am Wegesrand sollen je acht Behinderte mit einer, sie betreuenden, Familie leben.
Bislang gibt es für das Projekt weder Geldgeber noch Träger. Aber Landrat Dieter Patt (CDU) machte in seiner Rede den Eltern und Studenten Mut. Mit Beharrlichkeit könne man viel bewegen. Karl-Heinz Schmitz, an dessen Lehrstuhl in Weimar die Entwürfe entstanden, fasste dann die Probleme zusammen: Man habe für eine Gemeinschaft planen müssen, in der jedem seine Individualität zustehe. Man müsse sich in so einer Struktur auch aus dem Weg gehen können.
Die Entwürfe zeichnen sich tatsächlich durch großzügige Bemessungen aus. Allerdings mussten die Studenten auch keine Verhandlungen mit Geldgebern führen. Auch eine andere Frage beschäftigte Schmitz: In der idyllischen Landschaft bestehe die Gefahr, dass sich Menschen isolieren. Wie könne also die Schnittmenge zur großen Welt geschaffen werden? Die Jury wurde am ehesten von dem Fußweg des prämierten Entwurfes überzeugt. LUTZ DEBUS