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Archiv-Artikel

der geist von genf (2) Dehnen vor dem großen Bruder

Jede Bewegung eines deutschen Nationalspielers im Training wird von Kameras festgehalten und ausgewertet. Das Wichtigste wird auf DVD gebrannt

Das Stade de Genève ist das, was von Sportreportern gerne als Schmuckkästchen bezeichnet wird. Es wird einer der Spielorte der Europameisterschaft 2008 sein, die in der Schweiz und Österreich stattfinden wird. Doch hinter der beinahe nagelneuen Arena mit einem Fassungsvermögen von 30.000 Zuschauern liegt eine traurige Saison. Die Spiele von Servette Genf in der dritten Schweizer Liga waren nur selten gut besucht. Der 17-fache Schweizer Meister ist 2005 Pleite gegangen und musste als Drittligist einen Neuanfang starten.

Der französische Spielervermittler Marc Roger hatte im Januar 2004 den kriselnden Club zum symbolischen Preis von 1 Schweizer Franken übernommen und den Genfern eine große Zukunft als europäischer Spitzenclub vorhergesagt. Er nahm 21 neue Spieler unter Vertrag und gewann den ehemaligen Präsidenten von Real Madrid, Lorenzo Sanz, als Investor. 5 Millionen Franken investierte der Spanier in den Verein. Doch er verspürte keine Lust, den Verein zu retten, als im Dezember 2004 bekannt wurde, dass die Servette Genf AG bis zum Saisonende 10 Millionen Franken hätte aufbringen müssen, um überleben zu können. Monatelang schon konnten den Spielern – unter ihnen der französische Exweltmeister Christian Karembeu – keine Gehälter mehr ausgezahlt werden, als im Januar 2005 die Insolvenz festgesellt wurde. Kühne Träume von nationaler Dominanz und internationaler Präsenz sind ausgeträumt.

Mit der deutschen Nationalmannschaft sind nun wieder hoch fliegende Träume eingekehrt an den Gestaden des Genfer Sees. Jürgen Klinsmann will Weltmeistertrainer werden. Die 23 Nationalspieler, die gestern erstmals alle gemeinsam trainiert haben, müssen dafür hart arbeiten. Sie müssen nicht nur auf dem Platz im Stade de Genève schwitzen, sie müssen nach dem Training auch noch Hausaufgaben machen – am DVD-Player.

Dass Jürgen Klinsmann modernste Technik einsetzt, wenn sich die besten deutschen Fußballer zum Training versammeln, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Weitwinkelkameras, die normalerweise nur zur Beobachtung des taktischen Verhaltens in Wettkampfsituationen zum Einsatz kommen, laufen in Genf auch bei den Übungseinheiten. Das Aufwärmen, das Dehnen, das Verhalten bei Sprintübungen – alles wird festgehalten und hinterher analysiert. Da kann sich keiner mehr drücken und kurz mal durchatmen, wenn der Trainer gerade einmal wegschaut. Der große Bruder sieht alles. Der heißt Urs Siegenthaler, gehört zum Trainerstab der Deutschen und stellt für jeden Spieler eine DVD zusammen. Auf der ist alles festgehalten, was die Trainer für wichtig erachten. Jürgen Klinsmann hat die Zeichen der Zeit erkannt: „Das ist eine Generation von Spielern, die etwas viel leichter aufnimmt, wenn man es ihr zeigt, als wenn man es ihr nur erklärt“, hat er einmal gesagt.

ANDREAS RÜTTENAUER