: Deutsche Juden und Muslime beginnen Dialog
Einigkeit bei erster Diskussion: Politik tut zu wenig gegen Rechtsextreme. Antisemitismus unter Türken bleibt umstritten
BERLIN taz ■ Gut, dass sie miteinander geredet haben: Es war das erste Mal, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland offiziell mit der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) zusammenkam. Und so fand am Dienstag nicht nur eine weitere Podiumsdiskussion über „Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit“ statt. Mit Mehmet Irtemcelik und Schimon Stein fungierten der türkische und der israelische Botschafter als Schirmherren.
Albert Meyer, Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden, forderte die Politik auf, „Lippenbekenntnisse zu unterlassen“ und „endlich aktiv“ im Kampf gegen Rechtsextremismus zu werden. Auch der Generalsekretär der Ditib, Mehmet Yildirim, übte pauschale Kritik: Die deutschen Parteien wirkten der Fremdenfeindlichkeit „bewusst“ nicht entgegen, so sein Vorwurf – „um sich vor möglichen Wählerverlusten zu schützen“. Namen nannte Yildirim jedoch nicht.
Die Veranstaltung war ein Novum. In Ditib-Kreisen wurde eingeräumt, dass der interreligiöse Dialog mit den Juden bislang „nicht für nötig“ erachtet worden war. Der Ditib gehören nach eigenen Angaben über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime an.
Auf dem Podium waren neben dem Direktor des Zentrums für Türkeistudien in Essen, Faruk Sen, der Politikwissenschaftler Martin Kloke sowie Andreas Zick vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld vertreten. Kloke wollte gerade die Juden in die aktuelle Debatte über die „No-go-Areas“ einbezogen wissen. Viele scheuten sich, als Juden erkennbar herumzulaufen, weil sie Angstgefühle hätten. „Sie beginnen jeden Freitagabend nach dem Gottesdienst“ mit der Frage: „Soll ich die Kippa aufbehalten oder nicht?“
Kloke wies auf Umfragen hin, wonach jeder dritte Deutsche „gut verstehen“ könne, dass „manchen die Juden unangenehm“ seien. Jeder Fünfte vertrete sogar die Meinung, dass die Juden „zu viel Einfluss in Deutschland“ hätten. „Der klassische Antisemitismus ist auf hohem Niveau stabil“, diagnostizierte Zick. „Und er steigt gerade dort an, wo man sich der politischen Mitte zugehörig fühlt.“
Strittig blieb indes die Frage nach antijüdischen Ressentiments unter türkischen Muslimen. Islamwissenschaftler Sen beharrte darauf, dass es in der Türkei keinen nennenswerten Antisemitismus gebe – ebenso wenig wie in den türkischen Gemeinden in Deutschland. Kloke indes verwies auf den türkischen Kinofilm „Tal der Wölfe“, der hierzulande auch wegen seines unverhohlen antisemitischen Untertons ins Gerede kam. Gerade in Berlin, so Kloke, habe der Film „großen Zuspruch“ erfahren – vor allem von jugendlichen Migranten. Dies sei zwar richtig, meinte Sen, man sollte aber diese vereinzelten Reaktionen „nicht verallgemeinern“. JAN ZIER