: Pfiati, liebes Biest
Sie zickte, und wir liebten sie: Am Sonntag stirbt Else Kling in der „Lindenstraße“ den Serientod. Nach über 20 Jahren und 1.069 Folgen
Von Gisela Sonnenburg
Manchmal ist das Böse wie das Salz in der Suppe. In der ARD-Langzeitserie „Lindenstraße“ hat es zudem einen stahlblau stechenden Blick, trägt Kopftuch zum Putzkittel – und schwingt nicht nur den Besen beherzt, sondern auch dreiste bayerische Reden. Else Kling ist eine Nachbarin wie aus einem Alb, schon der Name des Musterekels riecht nach ätzender Hausmeisterei, spießiger Messerschärfe, alarmierendem Klingelbrett. Er habe ihn „assoziativ gewählt“, erinnert sich „Lindenstraßen“-Erfinder und -Regisseur Hans Werner Geißendörfer: „Die Else Kling hatte, wenn ich mal hoch greifen darf, von Anfang an die Funktion, die auch Shakespeares Narren erfüllen: Sie darf zynisch sein, ohne dass man sie dafür hasst.“
Kein Ur-, sondern ein Unweib also. Ihre fatalen Tugenden: Schadenfreude, Bosheit, Bigotterie – bis zu seelischer Grausamkeit. „Kleinkriminelle Energie“ spricht Geißendörfer ihr zu: etwa wenn sie im Briefkasten eines Nachbarn wühlt. Oder – beim Beten. Geißendörfer: „Da dreht’s den Katholiken den Magen um“, gleichen ihre Fürbitten doch bitterbösen Flüchen. Und gegen ihr passioniertes Geschimpfe im Treppenhaus nehmen sich die meisten Stammtische bieder aus. Else Kling? So eine möchte man nicht im Haus, nicht am Hals haben – und doch ist gerade diese Figur ein besonderes Stück Realismus der einst schwer provokanten Serie.
Ihr Erfolg gibt Else Recht: Fanklubs und Fanpost, Einladungen zu Shows und Events gelten nicht der Darstellerin, sondern der Rolle der hexenhaften Alten: Kling ist ein Unikum, ein Original, ein weibliches Pendant zu „Ekel Alfred“ und Hans Mosers nuschelnden Haustyrannen.
Und das seit der ersten Folge. Seit dem 8. 12. 1985 kennt man die Volksschauspielerin Annemarie Wendl als „Lindenstraßen“-Meckergröße. Und Wendl machte als „ewiges altes Biest“ Karriere: „In einem Alter, in dem andere Schauspielerinnen aufhören, begann sie noch mal neu“, würdigt sie ihr Filmsohn Franz Rampelmann. Dabei verschwieg sie, die früher Theaterparts von Lady Milford bis Maria Stuart inne hatte, beim Casting ihr wahres Alter, machte sich neun Jahre jünger. Dass sie schon 69 war, kam dann anhand ihrer Lohnsteuerkarte raus, sagt Geißendörfer; die Kollegen erfuhren es erst, als sie im „Lindenstraßen“-Team einen Alterspräsident wählten. Da wollte Wendl nicht bescheiden zurückstehen, sondern machte ihre vollen Jahre geltend.
Das ist vielleicht das Einzige, was die heute 91-Jährige mit ihrer Filmrolle gemeinsam hat: Beide stehen lieber im Mittelpunkt, als sie zugeben mögen. Jetzt fällt es der einen schwer, mit der anderen aufzuhören. Aber es gehe gesundheitlich nicht mehr, bedauert Annemarie Wendl, die nicht annähernd so Schrecken erregend ist wie ihr filmisches Alter ego. Sondern eine ganz zarte Dame, die nach einem Schlaganfall 2003 monatelang pausieren musste. Nach etlichen Lungenentzündungen und massiven Halswirbelproblemen ist ihr jetzt das ständige Pendeln zwischen ihrem Wohnort München und dem Drehort Köln zu viel.
Noch steht an ihrer Garderobe „Else Kling“, für den Fall, dass sie den Set besucht. Aber spontan kommt ihr Ausstieg nicht: Schon vor über einem Jahr besprach sie mit Geißendörfer, dass sie nicht mehr so könne, wie sie wolle. Der war schockiert – und tüftelte mit den Drehbuchautoren lange an einem passenden „Abgang“ der Else Kling.
Wie lässt man das ewig Böse gebührend abtreten? Geißendörfer verspricht einen „fast romantischen Tod“. Morgen, in der 1069. Folge, „Abschied und Ankunft“ betitelt, wird er stattfinden: einsam und beinahe heldenhaft, ein schöner Tod für die böse Nachbarin, mehr wird nicht verraten. Danach wird sie fehlen, diese Kultbösewichtin, dieser weibliche Mephisto mit dem aasig-frömmelnden Lächeln.
In der „Lindenstraße“ rückt zwar, was Bosheit angeht, Filmsohn Olaf nach, auch er, so Geißendörfer, ist „schließlich ein Kling“, der über „die Kraft des Bösen“ verfügt. Aber als Antifigur zum lieben Großmütterchen von nebenan blieb Else Kling beispiellos; als Frauenbild steht sie allein auf weiter Film- und Fernsehflur. Zum Trost gibt es online ein T-Shirt: „Sodom und Gomerra“ zitiert es den ureigen-falschen Lieblingsfluch der bestgehassten Alten. Schließlich kreierte Geißendörfer den nicht eben bibelfesten Hausdrachen nach dem Vorbild gleich zwölf evangelischer Pastorenwitwen aus seiner Kinderzeit.
Vielleicht geht es einem im „Gomerra“-T-Shirt wie dem Regisseur: Wenn er die Augen schließt, sieht er die Kling „im Mantel mit Sonntagshut – beim Kirchgang“. Da weiß man dann, wo das Böse „ewiglich“ wohnt.