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Archiv-Artikel

Köhlers beleidigter Rückzug

RÜCKTRITT Bundespräsident reagiert auf Kritik der Opposition. Die sieht das Ende von Schwarz-Gelb gekommen

Das Köhler-Interview

Wegen seiner umstrittenen Bemerkungen zur militärischen Sicherung von Deutschlands Wirtschaftsinteressen hat Bundespräsident Horst Köhler in Berlin seinen Rücktritt verkündet. Die taz dokumentiert das Interview im Deutschlandradio vom vom 22. Mai in Auszügen:

Deutschlandradio: In der politischen Debatte wird auch darüber nachgedacht, ob das Mandat, das die Bundeswehr in Afghanistan hat, ausreicht, weil wir uns inzwischen in einem Krieg befinden. Brauchen wir ein klares Bekenntnis zu dieser kriegerischen Auseinandersetzung und vielleicht auch einen neuen politischen Diskurs?

Horst Köhler: Nein, wir brauchen einen politischen Diskurs in der Gesellschaft, wie es kommt, dass Respekt und Anerkennung zum Teil doch zu vermissen sind, obwohl die Soldaten so eine gute Arbeit machen. Wir brauchen den Diskurs weiter, wie wir sozusagen in Afghanistan das hinkriegen, dass auf der einen Seite riesige Aufgaben da sind des zivilen Aufbaus – also Verwaltung, Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung dieser Drogenökonomie –, gleichzeitig das Militär aber nicht alles selber machen kann. Wie wir das vereinbaren mit der Erwartung der Bevölkerung auf einen raschen Abzug der Truppen. Ich glaube, dieser Diskurs ist notwendig, um einfach noch einmal in unserer Gesellschaft sich darüber auszutauschen, was eigentlich die Ziele dieses Einsatzes sind. Und aus meiner Einschätzung ist es wirklich so: Wir kämpfen dort auch für unsere Sicherheit in Deutschland, wir kämpfen dort im Bündnis mit Alliierten, mit anderen Nationen auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen, einer Resolution der Vereinten Nationen. Alles das heißt, wir haben Verantwortung. Und ich finde es in Ordnung, wenn in Deutschland darüber immer wieder auch skeptisch mit Fragezeichen diskutiert wird. Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.

VON LALON SANDER

Am Ende versagte ihm die Stimme, und er hatte Tränen in den Augen: Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz am Montag erklärte Bundespräsident Horst Köhler überraschend seinen Rücktritt. Seit zehn Tagen war er wegen Äußerungen zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr harter Kritik ausgesetzt, die ihn stark getroffen hat. Ihm sei unterstellt worden, er befürworte Einsätze der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen, sagte er sichtlich bewegt: „Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung, sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen.“ Vorübergehend übernimmt nun der Bremer Bürgermeister und Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) das Amt des Staatsoberhaupts.

Am 22. Mai hatte Köhler nach einem Blitzbesuch in Afghanistan dem Deutschlandradio gesagt, die Gesellschaft sei auf dem Weg, zu verstehen, dass im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig sei, um Deutschlands Interessen zu wahren, „zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen“. Darauf wurde ihm vorgeworfen, das Afghanistanmandat neu interpretiert zu haben. Ein Sprecher Köhlers stellte später klar, dass er sich auf andere Einsätze, etwa gegen Piraten, bezogen habe.

Am Freitag hatten Linke, Grüne und SPD schließlich eine Klarstellung gefordert, ob Köhler wirklich Kriege zur Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen befürwortet. Linke-Chef Klaus Ernst sagte, dass der Präsident seine Haltung in einer Rede an die Nation darlegen solle. Die Grünen forderten eine Korrektur Köhlers, und die SPD sprach von einem „abwegigen“ Diskussionsbeitrag. Köhler reagierte mit Rücktritt: „Ich bedauere, dass meine Äußerung in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnte.“ Nach der dreiminütigen Erklärung verließ er sofort den Amtssitz Schloss Bellevue.

Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) informierte er erst, kurz bevor er sich an die Medien wandte. Merkel hatte noch versucht, ihn umzustimmen. „Das ist leider nicht gelungen“, sagte sie in Berlin. Sie bedauere die Entscheidung „aufs Allerhärteste“. Aus dem Umfeld Westerwelles hieß es, er sei wie vom Donner gerührt gewesen. Auch der FDP-Chef hatte noch versucht, Köhler umzustimmen. „Aber der Herr Bundespräsident hat sich so entschieden.“

Die Bundeskanzlerin und den Vizekanzler informierte Horst Köhler erst, kurz bevor er sich an die Medien wandte. Umstimmen ließ er sich von Merkel und Westerwelle nicht

Merkel sagte ihren geplanten Besuch im WM-Quartier der deutschen Fußballnationalmannschaft ab. Der CDU-Vizeparteichef und niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sprachen ihr Bedauern aus. Wulff sagte: „Horst Köhler war ein kompetenter, bürgernaher und sehr beliebter Bundespräsident. Deutschland hat ihm viel zu verdanken.“ Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zeigte sich hingegen überrascht. Köhlers Äußerungen seien sicher unglücklich gewesen. „Ob sie für einen Rücktritt hinreichend waren, hat der Bundespräsident offensichtlich selbst entschieden.“

Die Opposition interpretierte Köhlers Schritt als Zeichen der Schwäche der schwarz-gelben Koalition. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, Köhler habe wohl den Eindruck gewonnen, dass er in der Koalition zu wenig Rückhalt habe. Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Cem Özdemir erklärten, Köhler habe als Vorbote von Schwarz-Gelb im Bund gegolten: „Mit seinem Rücktritt ist er nun Ausdruck des Niedergangs und Vorbote von dem Ende Schwarz-Gelbs. Sein Schweigen in den letzten Monaten spiegelte auch die Ratlosigkeit derer, die ihn ins Amt gebracht hatten.“ Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte, mit dem Rücktritt vertiefe Köhler die Krise der schwarz-gelben Bundesregierung.