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Archiv-Artikel

„Es ging hoch her“

SKANDAL Eine szenische Lesung erinnert an den Fall Kolomak, der 1927 nicht nur Bremen erschütterte

Eva Schöck-Quinteros 

■ lehrt und forscht am Institut für Geschichte der Universität Bremen.

taz: Frau Schöck-Quinteros, 1927 erregte der Fall Kolomak die Gemüter. Selbst aus Berlin kamen die großen Gerichtsreporter. Was war los?

Eva Schöck-Quinteros: Das Schöffengericht prozessierte gegen die Schustersfrau Elisabeth Kolomek wegen Kuppelei, begangen an ihrer 1924 gestorbenen Tochter. Die galt bis dahin als 17-jährige Verfasserin des 1926 veröffentlichten Tagebuchs „Vom Leben getötet“. Es enthielt massive Vorwürfe gegen die Sittenpolizei, die junge Frauen ohne Verdacht zwangsuntersuchen konnte. In der U-Haft gestand die Mutter, dass sie das Buch geschrieben hatte.

Warum erregte der Fall die Gemüter so sehr?

Die sich verändernde Moral zwischen den Geschlechtern bewegte die Leute. Über die „Neue Frau“ und ihr Verhalten, über das Sexualstrafrecht wurde viel diskutiert. Auch die Kritik an der Justiz war ein großes Thema. Während in anderen Städten spektakuläre Mordprozesse für Aufsehen sorgten, erregte hier der Sittenskandal Kolomak. Die Bürgerschaft diskutierte über sieben Stunden über Sitte und Moral, im Prozess wurden über 40 Zeugen geladen.

Die Shakespeare-Company bringt den Prozess unter dem Titel „Wussten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?“ als szenische Lesung auf die Bühne, Ihre Studenten haben das Material zusammengestellt.

Damit ist uns zum dritten Mal eine Umsetzung des Projekts „Aus den Akten auf die Bühne“ gelungen. Gelesen wird am historischen Ort: Im Schwurgerichtssaal des Landgerichts wurde am 15. Juni 1927 der Prozess eröffnet. In unserem Projekt steht die Mutter - anders als in der Forschung - im Mittelpunkt. Ihr Leben geriet durch die Reaktion der Behörden auf das Tagebuch aus den Fugen. INTERVIEW: FELIX ZIMMERMANN

Karten bei der Shakespeare Company, Termine: 2., 7., 8. Juni um 19.30 Uhr, 13. Juni 11 Uhr.