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Archiv-Artikel

„Lehrer werden nicht mehr respektiert“

Lange Zeit wurde von Gewalt an Schulen gar nicht gesprochen – vielmehr galt diese als „jugendtypisches Verhalten“, sagt Susanne Bauer, die Präventionsbeauftragte der Polizei. Inzwischen werde Gewalt allgemein verurteilt

taz: Frau Bauer, wenn man einem Teil der Medien glauben kann, dann nimmt die Gewalt an Berliner Schulen überhand. Wie bewerten Sie die Zustände?

Susanne Bauer: Die Zahlen besagen, dass die Jugendkriminalität seit vielen Jahren stark rückläufig ist. 1998 gab es noch 43.000 Delikte, inzwischen sind es 34.000. Dann gibt es die Rohheitsdelikte wie leichte und schwere Körperverletzungen. Im vergangenen Jahr verzeichneten wir auch hier seit langer Zeit wieder einen Rückgang um 5 Prozent.

Das Problem an dieser Statistik: Es ist unklar, wie viel Gewalttaten gar nicht angezeigt werden.

Das kann ich nicht bestätigen. Gewalt wird heute viel mehr angezeigt als früher. Es ist einfach ein wichtiges Thema geworden.

Die Zahlen für Gewaltdelikte sind also rückläufig. Aber warum sagt das öffentliche Empfinden das Gegenteil?

Das subjektive Sicherheitsgefühl sieht wirklich anders aus: Jugendliche seien gewalttätiger, glaubt man. Und: an den Schulen laufe alles aus dem Ruder. Die Diskussion über Gewalt hat sich völlig verändert – auch in den Medien.

Inwieweit denn?

Gewalt wird in jeder Form abgelehnt. Noch vor einigen Jahren haben wir von dieser Form von Gewalt an Schulen nicht gesprochen. Das lief eher unter der Rubrik „jugendtypisches Verhalten“. Wir befinden uns im Moment in einem Umbruch, in dem jede Form von körperlicher Gewalt wirklich als Gewalt definiert und geächtet wird. Hinzu kommt, dass in den Medien die Probleme an den Schulen zum Teil falsch dargestellt werden.

Ein Beispiel?

Nehmen wir die Rütli-Schule. Da heißt es in den Medien: In dieser Schule herrscht große Gewalt. Mit Gewalt impliziert man Gewalt gegen Menschen. Das steht in dem Brief der Lehrer aber gar nicht drin. Es geht dort vielmehr um allgemeines, disziplinloses Verhalten innerhalb der Schule und den Lehrern gegenüber. Die Kinder sind nicht vorbereitet, haben ihre Schulsachen nicht mit, beteiligen sich nicht am Unterricht und richten ihre Gewalt vor allem gegen Sachgegenstände.

Werden die Probleme an der Schule also vor allem falsch interpretiert?

Ja, das kann man so sagen. Zugenommen hat aber sicherlich die Disziplinlosigkeit. Lehrer werden nicht mehr respektiert.

Ist das ein neues Phänomen?

Ja, das scheint sich wirklich verändert zu haben.

Was ist das Resultat dieser öffentlichen Sicht?

Jugendliche werden stigmatisiert. Da heißt es, alle Jugendlichen sind gewalttätig. Das stimmt definitiv nicht. Man muss wirklich unterscheiden zwischen wirklicher Gewalt und disziplinlosem Verhalten.

Wo liegen aber die Probleme im Bereich Jugendgewalt?

Die liegen bei den Intensivtätern. Das sind Jugendliche, die mehrfach schwere Straftaten begangen haben. Das sind aber Einzelfälle, die dann von einem Teil der Medien reißerisch dargestellt werden.

In jüngster Zeit ist von Aufnahmen von Gewalttaten mit dem Handy die Rede. Ist das eine neue Qualität von Gewalt?

Vielleicht ist es eine neue Form. Aber ich weiß nicht, ob es eine neue Qualität ist. Wir zählen gerade erst die Fälle, bei denen so etwas vorgekommen ist. Das sind nicht viele. Ich glaube nicht, dass Jugendliche eine Straftat begehen, um sie aufzunehmen. Die meisten laden sich solche Filme aus dem Netz aufs Handy, weil sie es cool finden.

INTERVIEW: KAYS AL-KHANAK