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Archiv-Artikel

Exotische Früchte

KUNST DER ADIVASI Die modernen Bilder der Adivasi spielen mit traditionellen Motiven. Das Pariser Musée du quai Branly zeigt zeitgenössische Kunst der indischen Ureinwohner

Mashe malt dörfliche Szenen, angereichert mit Auto, Flugzeug oder Eisenbahn

VON URSULA WÖLL

Eine Glasbarriere dämpft den Krach der Autos, die entlang der Seine brausen. Doch der große Garten des Pariser Musée du quai Branly ist öffentlich zugänglich, weil Architekt Jean Nouvel den Bau parallel zur Straße auf Stelzen setzte. Im Museum selbst wimmelt es von Menschen, Schulklassen gehen in die angebotenen Seminare, andere Besucher in eine der drei großen Ausstellungen. Derzeit gibt die Schau „Autres Maitres de l’Inde“ erstmals in Europa einen umfassenden Überblick über Gemälde und Skulpturen der Adivasi.

Indiens Ureinwohner, etwa acht Prozent der Bevölkerung, nennen sich selbst Adivasi. Sie verteilen sich über viele Bundesstaaten, so dass ihre Dialekte und Traditionen sehr differieren. Das gilt auch für ihre zeitgenössische Kunstproduktion. Gemeinsam sind ihnen eine dunklere Haut und ein soziales Leben ohne Kastensystem. Das spielte sich früher ausschließlich in abgelegenen, waldreichen Gegenden ab. Seit Jahren werden die Dörfer der autochthonen Bevölkerung aber zunehmend ein Opfer des Landraubs, vor allem durch den Bau großer Staudämme, so dass Millionen entwurzelter Adivasi in den Slums der Städte stranden. Nachzulesen ist das bei der engagierten Autorin Arundhati Roy. Ausstellung und Katalog verweisen zwar auf die von der Kolonialzeit bis zum Bollywood-Film durchgängige Diskriminierung als edle Wilde, doch fehlen Hinweise auf die Vertreibungen und die Massenbewegungen, mit denen sich die Adivasi zur Wehr setzen (siehe www.adivasi.net).

Die in Paris gezeigten Kunstwerke thematisieren diese aktuellen Probleme auch gar nicht. Sie orientieren sich meist an traditionellen Mythen und Ritualen der verschiedenen Adivasi-Ethnien, wobei die individuelle Fantasie der Künstler die überlieferten Inhalte variiert und neue Medien genutzt werden. Das gilt auch für die beiden Stars der Ausstellung, die Maler Jivya Soma Mashe und Jangarh Singh Shyam. Beide sind auf dem Kunstmarkt ein Begriff, ihre großformatigen Bilder waren bereits auf der legendären Schau außereuropäischer Kunst „Les Magiciens de la terre“ von 1989 vertreten. Kurator Jyotindra Jain widmet ihnen breiten Raum.

Der etwa 70-jährige Mashe, zum Stamm der Warli gehörig, wohnt noch immer in seinem Dorf vier Autostunden nördlich von Mumbai. Das Malen lernte er früh von den Frauen, die vor Hochzeitsfesten die ockerfarbenen Hauswände mit weißer Paste aus Reismehl bemalen. Als die Regierung nach der Unabhängigkeit von 1947 die Adivasi mit Papier, Leinwand und Farben versorgte, um ihre aussterbenden Traditionen zu retten und ihre Einkommenssituaton zu verbessern, nutzte Mashe die neuen Bildträger. Er wurde Vorreiter des Malens durch Männer und fand seinen filigranen, narrativen Stil, der an Höhlenzeichnungen erinnert. Er grundiert mit einer Mischung aus Ockerfarbe und Kuhdung und trägt weiße Farbe mit einem Bambusstab auf, wobei er den Körpern seiner zarten Strichmenschen die Form einer Sanduhr gibt. Immer malt er dörfliche Szenen, angereichert mit Haustieren, Bäumen und Häusern, aber auch mit einem Auto, Flugzeug oder der Eisenbahn. Wenn der Katalog aber daraus die Modernität seiner Malerei ableitet, scheint das überinterpretiert. Die Bilder sind so unvergesslich, weil ihre Wurzeln identifizierbar bleiben, auch wenn sie den Alltag der Adivasi nostalgisch verklären.

Erkennbarkeit schaffen

Der durch seine glühenden Farben und eine pointillistische Malweise auffallende Shyam vom Stamm der Gond hält sich ausschließlich an mythologische Geschichten, die er individuell und dekorativ ausschmückt. Er kam schon als 16-Jähriger in das vom Staat Madhya Pradesh initiierte Künstlerzentrum Bharat Bhawan in Bhopal, wo er auf die Avantgarde der indischen Künstler traf. Leider geht der Katalog nicht genereller auf die indische Kunstszene ein, so dass man nicht vergleichen kann. Reagieren Nicht-Adivasi-Künstler auf das aktuelle Geschehen, etwa auf die Giftgas-Katastrophe von 1984? Wie integrieren sie die Einflüsse der westlichen Moderne? Eine Andeutung im Katalog lässt vermuten, dass Shyam gedrängt wurde, bei seinen imaginären Kreaturen, Fabelwesen und Dschungelwelten zu bleiben, um auf dem Kunstmarkt wiedererkennbar zu sein.

Viel Raum gesteht die Ausstellung auch der Künstlerin Sundaribai zu. Sie ist Schülerin von Sonabei, die einer alten Kunst neue Impulse gab, weil ihr Mann sie ins Haus einsperrte. Sie wurde durch Zufall „entdeckt“ und regte viele andere Adivasi-Frauen im Staat Chhattisgarh zum Malen an. Sie schmücken die Wände mit Halbreliefs aus Ton und bemalen die erhabenen Figuren farbig. Zu sehen sind Frauen oder Tiere am Brunnen, die Ernte von Kokosnüssen, Szenen, die in ihrer gewollten Naivität und ihrer Freude an Farben faszinieren. Fröhlichkeit verbreiten auch die riesenhaften farbigen Elefanten- und Pferdefiguren aus Terrakotta. Der Einfachheit halber flog man nicht sie, sondern die Künstler aus Tamil Nadu ein, die sich in Paris an die schöpferische Arbeit machten und mit dem Publikum diskutierten.

Doch Vorsicht! Das Krokodil aus Holz mit einem Ungeheuer als Schwanz ist „echt“. Es wurde von den Adivasi auf den Nicobaren-Inseln geschnitzt – und vom Wiener Museum für Völkerkunde als Beweis für die lange Kunsttradition dieser „anderen Meister Indiens“ entliehen.

■ Bis 18. Juli, Kataloge 29 € und 8 €