LESERINNENBRIEFE
:

Armselige Mindestlohn-Offensive

■ betr.: „Mehr Arbeit – und mehr Armut“ u. a., taz vom 27. 11. 13

„In Deutschland wurden keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, sondern die Arbeit massiv prekarisiert.“ Mit dieser Kurzformel fasst Eva Völpel ihren Kommentar zum sogenannten deutschen Beschäftigungswunder zusammen. Leider wahr! Und die Diskussion über Mindestlöhne im Zuge der Koalitionsverhandlungen greift deshalb auch zu kurz, denn sie muss auch den Maxilohn und die Arbeitsbedingungen mit einbeziehen. Unterschiede in der Entlohnung und die Kriterien dafür müssen nachvollziehbar sein und mit realer Leistung zu tun haben. Ausbeutungsverhältnisse gehören offengelegt und geahndet und dürfen nicht nur verharmlost als „atypische Arbeitsverhältnisse“ in irgendwelchen Statistiken Erwähnung finden. Zur Würde des Menschen gehört auch die Wertschätzung und angemessene Vergütung etwa von körperlicher oder betreuender Arbeit, und jeder Schritt zurück hinter die hart erkämpften Errungenschaften wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Krankenversicherung, Kündigungsschutz, gewerkschaftliche Vertretung und Mitbestimmung ist als Skandal zu brandmarken. Wie armselig mutet da die Mindestlohn-Offensive der jetzigen SPD an? Existenz- und rentensichernde Arbeitsverhältnisse und Entlohnung tun not in diesem Land. ORTWIN MUSALL, Rotenburg

Der Freier weiß, was er tut

■ betr.: „Der Freier, das unbekannte Wesen“, taz vom 30. 11. 13

Beinahe jeder fünfte Mann quer durch alle Alters-, Berufs- und Einkommensgruppen besucht Prostituierte! Das ist eine sehr, sehr hohe Anzahl! Geht wirklich jeder fünfte meiner Bekannten in den Puff und nicht nur der eine, von dem ich’s weiß? Gilt die Zahl heute noch? Seit den 90ern hat sich, ausgehend von hedonistischen Subkulturen über Internet und Printmedien mittels einer findigen Sexindustrie, eine unglaublich in die Breite gehende Pornografisierung der Gesellschaft entwickelt. Zwölfjährige haben Poledance-Stangen im Kinderzimmer, und Pubertierende können einem, ohne noch selbst zu ihrer eigenen Lust gefunden zu haben, Sextechniken von A bis Z herbeten. Für Mädchen gilt die bitch vielerorts als Rollenmodell. Zum einen verkörpert sie Macht, zum anderen bleibt sie im bekannten, dienstbaren Fürsorge- und Präsentationsrahmen der bekannten Frauenrolle.

Was ich nun sehr spannend an Udo Gerheims Beitrag finde, sind einige der Gründe, warum Männer zu Freiern werden, wie ihre Sehnsucht nach Nähe und Kommunikation, nach Angenommenwerden, nach Spiegelung der eigenen Männlichkeit, ihr Wunsch nach Selbstbestätigung, nach freudigem Sex und Abenteuern, ihre Suche nach Erheiterung und Vergnügen in Zeiten, in denen es ihnen nicht gut geht. Was hindert diese Männer daran, dass sie sich selbst zärtlich zuwenden? Was hindert sie daran, ihre Beziehungen so zu gestalten, dass ihre diesbezüglichen Wünsche und Bedürfnisse befriedigt werden? Männer scheinen Frauen stärker als Gegenüber zu brauchen, als es die Männerrolle vorgibt, als sie sich und anderen eingestehen dürfen. Frauen könnten sich dementsprechend fragen, ob sie Männer denn auch ein Stück weit aus ihrer Männerrolle heraustreten lassen wollen und können. Die Diskussion über Pornografie rückt die Geschlechterrollen in den Fokus. Das ist eine große Chance, sie besser zu verstehen und verändern zu können. Dies ist notwendig, um die Fetischisierung des weiblichen Körpers, wie er in der Prostitution gekauft wird, zu beenden. Auch wenn die Sexarbeiterin nebenbei ihr Ohr und Herz leiht, es ist ihr Körper, der dazu einlädt und Geld einbringt. Warum wünsche ich, dass diese Gesellschaft sich (durch Einsicht, nicht durch Gesetze) von der Prostitution befreit? Weil der Mensch kein Smartphone, kein Kleidungsstück, kein Ding ist – und weil der Blick des Freiers auf den Frauenkörper nicht nur die Nutte, sondern alle Frauen trifft. BIRGIT KÜBLER, Regensburg

Der soziale Scheinriese

■ betr.: „Es wird ein GroKo“, taz vom 27. 11. 13

Ich habe mich immer gefragt, was Michael Ende auf die Idee mit dem Scheinriesen Tur Tur gebracht hat. Es sind die Wahlversprechen! Ganz deutlich ist das bei den Versprechen der Unionsparteien „Keine Steuererhöhungen“. In der Diskussion waren nur Steuererhöhungen für wenige besonders gut Verdienende. Aber die CDU hat ganz gewaltig getönt – ein Scheinriese, denn viele Leute zahlen keine oder wenige Steuern. Und der andere Scheinriese, die Mütterrente. Die kostet viel Geld, aber „keine Steuererhöhung“. Wie geht dann die große soziale Wohltat? Ganz einfach. Man greift in die Rentenkasse, verhindert zunächst eine Senkung der Beiträge und erhöht sie später, damit die Sozialabgaben der Geringverdiener die Mütterrenten für die Besserverdienenden bezahlen. Der soziale Scheinriese schrumpft nicht nur, er entpuppt sich als glatter Betrug. ULRICH FINCKH, Bremen

Verantwortungslos und leichtfertig

■ betr.: „Zeit kaufen für den Umstieg“, taz vom 29. 11. 13

„… aber beherrschbar, wie Jahrzehnte des unfallfreien Frackens in Deutschland zeigen“. Dieser Satz zeigt, wie verantwortungslos und leichtfertig journalistisch mit dieser Hochrisikotechnologie umgegangen wird. Zählen doch die Betroffenen überwiegend in Niedersachsen, von 2007 bis 2013 insgesamt 18 Unfälle überwiegend mit Lagerstättenwasser. Hierbei haben u. a. Benzol, Ethylbenzol und Quecksilber das Erdreich kontaminiert. Dieser Artikel und die Überschrift erinnern an die „Brückentechnologie“ der Atomwirtschaft, die notwendig sein sollte auf dem Weg zu den erneuerbaren Energien. HEINO KIRCHHOF, Lohfelden