: Die Lümmel von der Oppositionsbank
Vor 25 Jahren saßen zum ersten Mal Grüne im Parlament. Damals hassten sie die Geschäftsordnung, heute lieben sie sie. Einst kamen sie barfuß ins Plenum, heute im Sakko. Abgeordnetenhausdirektor von der Aue über den Wandel der Ex-Spontis
PROTOKOLL ULRICH SCHULTE
„Wenn ich über den Werdegang der Grünen im Abgeordnetenhaus nachdenke, finde ich eine eher unauffällige Wandlung entscheidend: Sie haben gelernt, wie ein Parlament funktioniert. Sie kennen alle Tricks der internen Organisation. Damals, Anfang der 80er, war das anders. Es saßen Spontis aus der Hausbesetzerszene in der Fraktion, Ökoaktivisten, die sich mit den Regeln des Hauses nicht auskannten. Oder besser: gar nicht auskennen wollten.
Die ersten Grünen-Abgeordneten stimmten zum Beispiel prinzipiell gegen Änderungen der Geschäftsordnung. Sie fühlten sich von der Vereinbarung, welche die Diskussionen und das Miteinander regelt und diszipliniert, eingeengt. Sie hemmt die Spontanität, sagten sie. Ich war damals noch Ausschussreferent (Biografie siehe Kasten) und musste den Grünen in Rechtsdingen oft Nachhilfe geben.
Inzwischen hat sich das grüne Verhältnis zur Geschäftsordnung umgedreht. Wenn es um Verfahrensfragen geht, sind ihre Vertreter die eifrigsten und gewieftesten Taktiker. Besonders mit Minderheitsrechten, die die Geschäftsordnung garantiert, kennen sie sich bestens aus. Im eigenen Interesse natürlich. Ein Beispiel: Im Stellen kleiner Anfragen an den Senat haben es einige Grüne zur Meisterschaft gebracht. Besonders spitze Fragen, so ist mein Eindruck, beantworten die Senatsverwaltungen gerne in provozierender Kürze. Das lassen sich die Grünen nicht gefallen – und bitten uns dann, beim Senator auf ausführliche Antworten zu drängen. Im Laufe der Jahre haben die Grünen die Geschäftsordnung stark verändert – zum Besseren.
Sie haben aber auch viele ungeschriebene Regeln des Abgeordnetenhauses außer Kraft gesetzt. Ein anständiger Parlamentarier trug Anfang der 80er-Jahre Krawatte und erschien auch sonst in einem bürgerlichen Aufzug. Die Haartrachten der Grünen – lange, verfilzte Mähnen, Rauschebärte – stachen da hervor. Manche trugen kurze Hosen, manche Wollpullover mit der gelben Anti-Atom-Sonne drauf, einige liefen barfuß, und wieder andere strickten während der Plenumssitzungen. Dies alles sollte zeigen, das man sich dem Anpassungsdruck nicht beugte. Dass er sich als Individuum verstand, zeigte der Grünen-Abgeordnete offensiv.
Rügen wegen der Kleidung
Die amtierenden Parlamentspräsidenten verteilten des Öfteren Rügen: Die Kleidung darf nämlich im Plenarsaal keine politische Proklamation ausdrücken. Der Hinweis auf Zucht und Ordnung ereilte aber auch Teile der SPD. Wenn Sie sich heute im Parlament umschauen, haben einige Fraktionen durchaus eine lockere Kleidungsordnung adaptiert. Und in den Reihen der Grünen sieht es auch nicht mehr bunter aus als anderswo.
Im Gegensatz zu früher wirken heutige Plenumsdebatten fast langweilig. In den 80er-Jahren herrschte mehr Leidenschaft. Der Schwung, der die Leute ins Parlament getragen hat, war nicht durch irgendeine Parteidisziplin abgeschliffen. Man musste bei jeder Sitzung damit rechnen, dass irgendeine Aktion vonstatten ging, die sich hart an der Grenze des Zulässigen bewegte – oder darüber.
Ich erinnere mich noch, wie ein verkleideter Wolfgang Wieland einmal in die Mitte des Plenarsaales tappte, in der Hand ein Mikrofon, auf den Ohren einen Kopfhörer. Das Mikro richtete er auf die Regierungsbank, weil der Diepgen-Senat dem Abhörgesetz im Bundesrat zustimmen wollte. Parlamentspräsident Herwig Haase rief ihn zur Ordnung, ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Wieland hantierte einfach weiter; er hat ihn unter den Ohrmuscheln schlicht nicht gehört.
Gegen die Gepflogenheiten unseres Hauses verstieß auch die grüne Marotte, das Parlament – ob in ihren Fraktionsräumen oder außerhalb – immer wieder für politische Aktionen zu nutzen. Da wurde schon mal ein Raum für eine politische Veranstaltung gebucht, in Wirklichkeit war es ein Treffen mit Hausbesetzern. Die Abgeordneten hängten Plakate mit Forderungen aus dem Fenster, ließen Luftballons steigen, bemalten Fenster von innen, starteten also Aktionen à la Greenpeace. Am 15-jährigen Jubiläum der Alternativen Liste klauten sie gar die Berliner Fahne mit dem Bären vom Dach und hissten stattdessen die grüne Igel-Flagge. Die Verwaltung nahm ihrerseits diese als Geisel: In einem amüsanten Schriftwechsel zwischen Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien und der Fraktionsspitze wurde ein Austausch vereinbart.
Bunte Aktionen kündigen die Grünen heute offiziell an. Auch die Auftritte im Parlament sind einer ernsthafteren Auseinandersetzung gewichen. Die Grünen konnten sich mit der Zeit nicht mehr auf ihre Lieblingsbiotope wie Umwelt- oder Frauenpolitik konzentrieren, sondern mussten sich mit allen Politikfeldern auseinander setzen – zum Beispiel in knochentrockenen Haushaltssitzungen.
Die anderen Parteien und auch die Verwaltung brauchten einige Jahre, um sich an die Grünen zu gewöhnen. Der Umgang entspannte sich erst nach und nach. Aber die etablierten Fraktionen empfanden bald Respekt für die grünen Politiker. Ihr Engagement war ja unübersehbar, manche bestachen zudem durch witzige Klugheit. Das Zweigespann Renate Künast und CDU-Präsidentin Hanna-Renate Laurien piesackte sich mit Inbrunst und höchst amüsant. Beide empfanden, da bin ich sicher, hohen Respekt voreinander. Oder nehmen Sie Wolfgang Wieland, einen rhetorischen Könner, dem nur Klaus-Rüdiger Landowsky das Wasser reichen konnte.
Schluss mit der Rebellion
Der Anpassungsprozess der Grünen ist stufenlos und kontinuierlich verlaufen. Besonders rebellisch sind die Grünen im Vergleich mit den anderen Fraktionen heute nicht mehr. Sie haben das Parlament verändert, das Parlament sie aber ebenso. In beiden Fällen zum Guten.
Ein Hauch von Grün zeigt sich in den Büros der Fraktion. Ihre Räume im Abgeordnetenhaus sind klein und eng. Dafür liegen sie um einen Dachgarten herum, viele haben Oberlichter, durch die die Sonne scheint. Die Raumverteilung zu Beginn der Legislaturperiode ist ein hochkompliziertes Verfahren: Wie viele Räume eine Fraktion bekommt, richtet sich nach der Zahl der Abgeordneten. Aber um Lage, Quadrat- und Kubikmeter und Fensterachsen wird erbittert gefeilscht, auch darum, wer die repräsentativen Eckräume bekommt. Die Grünen haben sich früh – und konkurrenzlos – für den Dachgarten entschieden.
Das Verhältnis der Grünen-Abgeordneten zu den kleinen Verwaltungsangestellten ist traditionell gut. Der Kommune-1-Gründer Dieter Kunzelmann wurde des Öfteren aus dem Saal gewiesen. Doch die Ordnungsdienstmitarbeiter zögerten merklich, die Anweisung des Präsidenten zu vollstrecken – er lud sie oft zu sich nach Hause ein.
Legendär sind die Weihnachtsfeiern, auf denen Grünen-Parlamentarier für die Verwaltungsangestellten singen und sich verkleiden: Wolfgang Wieland hat gerappt, Volker Ratzmann als Russe verkleidet ein Gedicht aufgesagt. Großartig. In den 80ern haben CDU-Präsidenten noch Listen führen lassen mit Leuten, die da hingingen. Um zu wissen: Der und der gehört auch zu denen. Aber das ist auch längst Geschichte.“