Ein Joker für die Großserbien-Ideologen

Die Debatte um den Heine-Preis (2): Vom Milošević-Regime ließ sich Handke missbrauchen – ein Blick nach Serbien

Ein erwiesener Freund Serbiens, ein Mann, der gegen die Ungerechtigkeit kämpft, ein großer Dichter, der die Wahrheit erkannt hatte. So sprach und spricht man in Serbien über Peter Handke. Angesehene Autoren schrieben und schreiben über den berühmten Schriftsteller, „der den Mut hatte“, sich gegen die allgemeine Verdammung der Serben aufzulehnen und die Frage von Schuld und Sühne im blutigen jugoslawischen Bürgerkrieg zu relativieren. Die in westlichen Medien als Tätervolk gebrandmarkten Serben beobachteten dankbar, wie Handke im Alleingang von serbischen Opfern schrieb, auf das Leiden der orthodoxen Christen im Gefecht gegen die Katholiken und Muslime in Kroatien und Bosnien hinwies.

Mitte der 90er-Jahre besuchte Handke das Land, las im Belgrader Theater „Jugoslovensko dramsko pozoriste“ auf Serbisch und gewann die Herzen der versammelten serbischen intellektuellen Elite. Zumindest derjenigen Dichter und Denker, die sich um den serbischen Schriftstellerverband und die Akademie der Wissenschaften und Künste versammelten und die Ideologie eines Großserbiens prägten, die Slobodan Milošević als Grundlage für seine Feldzüge diente. Das allein gebliebene Serbien suchte damals verzweifelt nach Freunden und Verbündeten in der westlichen Welt. Auf die Unterstützung Russlands, Chinas und etwa Libyens angewiesen, war für die serbischen Politiker Handke so etwas wie ein Joker.

Selbst wenn Handke nur die andere Seite der Wahrheit im blutigen Krieg sehen wollte, er wurde in die Regimepropaganda eingespannt. Der in Serbien zuvor weitgehend unbekannte Dichter wurde über Nacht berühmt und glorifiziert. Ob Handkes Motiv Trotzreaktion oder der Wunsch war, einseitig die Geschichte der Serben zu erzählen, weil der Großteil westlicher Medien und Autoren einseitig die jugoslawische Tragödie aus dem Blickwinkel anderer Völker schilderte, er wurde von Milošević und seinen Mitläufern maßlos missbraucht.

Die bekannte serbische Stückeschreiberin Biljana Srbljanović sagte, Handke sei in Serbien mit Leuten befreundet, mit denen sie nicht einmal reden würde. Die bürgerliche Opposition warf dem österreichischen Schriftsteller vor, dass er sich von Nationalisten wie eine Zirkusattraktion führen ließ, und der Versuchung nicht widerstehen konnte, der Barde eines abtrünnigen Volkes zu werden.

„Ich bin empört, dass sich Politiker in literarische Entscheidungen einmischen“, kommentiert nun für die taz die Präsidentin des serbischen PEN-Cubs, Vida Ognjenović, die Affäre um den Heinrich-Heine-Preis. Sie stimme zwar mit Handkes politischen Ansichten nicht überein, aber seine literarische Reputation sollte nicht darunter leiden.

ANDREJI IVANJI