: Stimmen blühen aus dem Wagen
Radio zum Selbermachen: Wenn Ricardo Miranda Zuñiga sein „Public Broadcast Cart“ durch die Straßen schiebt, können Passanten und Besucher des Klangkunst-Festivals Sonambiente selbst ein bisschen Kommunikationsguerillero spielen
VON ALJOSCHA WESKOTT
Ein Medienkünstler ist in die Stadt gekommen und mit ihm eine raffinierte mobile Radiostation, die sich „public broadcast cart“ nennt. PBC also statt BBC. Die Idee kommt von der Straße, direkt aus der puerto-ricanischen Community in Brooklyn, New York. Dort hat Ricardo Miranda Zuñiga in den letzten Jahren vermehrt das Entstehen einer eigenen unabhängigen Ökonomie beobachtet – Produktionsmittel: geklaute Einkaufswagen. Wenn Leute aus Einkaufswagen heraus Blumen und Essen verkaufen, sieht Zuñiga allerdings nicht nur das prekäre Leben umherschweifender Outlaws. Er hat darin auch etwas ganz Individuelles jenseits von Mobilitäts- und Existenzsicherungszwängen entdeckt – und setzt diesen Moment jetzt in Performances um.
Neben Mikrofon, Mixer, Verstärker und sechs Lautsprecherboxen schmücken Blumenarrangements seinen Einkaufswagen. Ein Wireless-Laptop streamt ins Netz, was Zuñigas Kommunikationsguerilla-Wagen produziert: Radio. Worauf Zuñiga gar keine Lust hat, ist, die Privatisierung der Medien und der globalen Informationsströme als Verschwörungstheoretiker zu kritisieren. Sein Zauberwort heißt Empowerment, was mit Ermächtigung nur unzureichend übersetzt ist.
Ihn interessiert, wie Menschen spontan zu Radiomachern werden, wenn sie, wie in einer Aktion in New York geschehen, direkt aus dem Fitnessstudio kommen, das Mikro des Einkaufswagens übernehmen und andächtig Zeitung lesende Passanten in eine Diskussion über Ex-Bürgermeister Giuliani verwickeln. Seine mobile Radiostation ist ein Tool, um Mikropolitiken in der „Neighborhood“ zu triggern – als Medienpraxis, die auf unmittelbare Teilhabe zielt, ohne festgesteckte Grenzen.
So wird der Einkaufswagen in Zuñigas Radiowelt nicht nur als Paradigma der Konsumgesellschaft ausgestellt, sondern zweckentfremdet durch das öffentliche Leben geschoben. Während des Sonambiente-Festivals durch das von Berlin-Mitte. Auf den Straßen möchte Zuñiga mit seiner mobilen Radiostation alle akustischen Ereignisse einsammeln und die Leute dazu bringen, ein eigenes Radioprogramm zu machen.
Der zwischen Nicaragua und San Francisco aufgewachsene Medienaktivist bastelt seit Jahren an der Schnittstelle von alten und neuen Medien an sozialen Skulpturen. Was neu ist an seinem Einkaufswagenradio: Er selbst verschwindet als Künstler aus der konkreten Situation – stellt den Wagen in Parkanlagen oder Shopping Malls und beobachtet nur, ob und wie der Wagen in Beschlag genommen wird. Das Verhältnis zwischen Produzent und Konsumenten kehrt er mit größter Freude um. Hauptsache, es prasseln nicht einfach nur irgendwelche Funksignale auf den unbedarften Performanceteilnehmer und der Rahmen der in die Jahre gekommenen, unterkühlt-minimalistischen Medienkunst wird gesprengt. Für Zuñiga ist das Medium nicht nur Message oder Fetisch, sondern Gebrauchsgegenstand.
Zur Partizipation verführen soll der Echtzeitgedanke, das On-air-Sein, die berühmten fünf Minuten „being famous“. Für Zuñiga ist das eine akustische soziale Praxis: Das alte „den Leuten eine Stimme geben“ wird in einer mikroskopisch kleinen Anordnung nachgestellt. Für ihn ein taugender Ersatz für fehlende Austauschmöglichkeiten im Alltagsleben.
Natürlich kann so eine Anordnung auch kippen oder merkwürdig benutzt werden: Bei einer Aktion während der Ars Electronica in Linz wünschte sich eine Frau übers Mikrofon Arnold Schwarzenegger als US-Präsidenten. Bleibt zu hoffen, dass Zuñigas Radioexperimente in Berlin nicht noch ganz andere Blüten treiben. Wie klingt sein Cart wohl in einer No-go-Area?
Ricardo Miranda Zuñiga bei Sonambiente: „Public Broadcast Cart“ täglich auf der Straße in Mitte, geplant 14–17 Uhr; Public Radio (Installation & Archiv), Di.–So. 20–22 Uhr, Studio Eins, Tesla im Podewil; bis 16. 7.