: Der Ritter
BERLIN Zum Blutwurstritter geschlagen: Marcus Benser aus Neukölln
Marcus Benser
Samstagmorgen auf dem Karl-Marx-Platz in Neukölln. Es ist Markt. Türkische Verkäufer preisen ihre Ware an: „Aubergine! Aubergine!“ Am Straßenrand das Reisebüro Çobak, ein Spiel- und Wettcafé, eine Dönerbude, ein arabischer Süßwarenladen, um die Ecke trinken Männer Tee. Im Schatten eines Baums eine Fleischerei – die Blutwurstmanufaktur von Marcus Benser. Ein altes Ehepaar betritt den Laden. „Der Meister kommt gleich“, ruft eine der Verkäuferinnen. Um ihre Köpfe kreist eine Fliege. Von der Decke hängt Salami. Zum Trocknen und Reifen.
Im Schaufenster der Blutwurstmanufaktur hängen Zeitungsausschnitte. Dazwischen ein Bild: Zwei Schweine baumeln an Fleischerhaken, daneben der Meister Marcus Benser, 36 Jahre, schlank, mit Brille, kurz rasierten Haaren, weißem Kittel und breitem Grinsen. Marcus Benser ist Fleischer in der siebten Generation, dreifacher Sieger des internationalen Blutwurstwettbewerbs der französischen „Bruderschaft der Blutwurstritter“. Der Pokal steht direkt neben der Ladentür auf der Theke. Einen halben Meter groß, der Sockel aus Marmor. Tim Mälzer und MTV haben mit ihm Sendungen produziert. Das Schloss Bellevue zählt zu seinen Kunden. „Es geht um ein Revival der Blutwurst“, sagt Benser. Durch hohe Qualität will er die Blutwurst aus der Kantinen- und Schmuddelecke holen. Durch mediale Präsenz im Gespräch bleiben.
Im Internet wirbt Marcus Benser mit einem Bild, auf dem seine blutverschmierte Hand zu sehen ist. „Ein Schnappschuss, der aus dem Leben gegriffen ist“, sagt Benser. Einige Kunden und Kollegen hielten das für unseriös. Andere seien begeistert: „Genau so geht es doch mittendrin zu.“
Alte Frauen mit Einkaufswagen, ein Handwerker in Arbeitskluft und eine junge Mutter mit Kinderwagen kommen in den Laden. Einige kennt Marcus Benser persönlich. Muslime kaufen bei ihm nicht ein. „Für Muslime ist bereits das Schwein neben dem Rind im Schaufenster ein Ausschlusskriterium.“ Gut die Hälfte der Kundschaft komme aus dem Neuköllner Kiez, der Rest aus ganz Berlin. „Vor dem Geschäft parkt auch schon mal der Daimler aus Grunewald.“
Hinter der Theke geht es zur ehemaligen guten Stube. „Da stand 1870 das Sofa des Meisters, heute ist hier die Küche für den Mittagstisch.“ Eine gewundene Steintreppe führt in den Keller. In den Ecken hängen Spinnweben. Marcus Benser öffnet eine rostige Tür. In der Kammer dahinter steigt Rauch auf. Fleisch hängt von der Decke. „Hier wird geräuchert“, sagt Benser.
Zerlegt wird in den Räumen von 1870 nicht mehr, sondern in dem weiß gekachelten Anbau aus den 70ern. Für den Partyservice liegen zehn Spanferkel in Lake. Noch müssen sie gebacken werden. „Kross wie Keks muss das werden.“ An den Wänden hängen Rezepte. Rezepte zum Zubereiten von 125 Kilogramm Speck. Davor steht ein Metallgestell mit Fenchelwurst und Kirschwassersalami. 60 Wurstsorten hat Benser im Sortiment.
Im Kühlraum ist der Fleischgeruch stechend. Neben den Blutwürsten liegen Schäufele, geräucherte Schweineschultern, eine badische Spezialität. „Für die Schwaben aus dem Prenzlauer Berg“, sagt Benser. Daneben Knochen und Schweinefüße, die von Jugoslawen und Afrikanern gekauft würden. In einem Karton sind Blutbeutel gestapelt.
Die höchste Wertschätzung ist für Benser, am Ende eines Tages auf der Straße auf einen Kunden zu treffen, der ihn für seine gute Wurst lobt. „Das kann dir als Bankangestellter nicht passieren.“ Der Vater hätte Marcus Benser lieber hinter dem Bankschalter gesehen. Nach sechs Generationen Fleischer sollte aus dem Jungen etwas anderes werden. Benser schloss die Banklehre ab. Doch er wollte keinen Tag länger in diesem Beruf arbeiten. Marcus Benser wollte lieber Ritter werden. CLAUDIA KORNMEIER, KÖRNERFRESSERIN, NICOLAI KLEMKE, VIELFRASS