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Archiv-Artikel

DJANGO LASSI TREIBEN DIE LEUTE ZU TANZEXZESSEN, IM THEATER O.N. AUF DER KOLLWITZSTRAßE WERDEN MÄRCHEN ERZÄHLT Der Fuchs will seinen Schwanz zurück

VON LEA STREISAND

Es ist Sonntagnacht. Es gibt keine Stelle an meinem Körper, die nicht wehtut. Ich habe durchgezählt. Vom Kopf bis zu den Zehenspitzen. Schmerzen überall. Der leichte Kopfschmerz ist vermutlich das Echo des Weißweinschorlegenusses vom Freitag. Wir haben im Bänsch in Friedrichshain zum letzten Mal „Hamset nich kleina?“ in 2013 gemacht. Lesebühne. Mit Aaron und Arno und mir. Es war so schön, wir haben geweint vor Glück. Um fünf war ich zu Hause. Danke, lieber Taxifahrer!

Die Genick- und Schulterschmerzen hab ich mir Samstag eingefangen. Da bin ich mit Fahrrad ins Astra gefahren. Bei Nieselregen, Graupelschauer, 4 Grad Celsius. Na und? Ich hab eine Strumpfhose druntergezogen, das Unterhemd in die Hose gesteckt (Mami! Liest du das?!) und unter der Kapuze noch die Wollmütze aufgesetzt. Bloß dass ich mir dabei den vierten Halswirbel verdingst hab.

Django Lassi waren es wert. Die Gypsy-Swing-Jazz-Kombo hat bei der Electro Swing Revolution im Astra ihre neue CD „Szupa Czipa“ gefeiert. Die sechs Musiker kommen aus Deutschland, Israel, Kanada und der Elfenbeinküste. Ihr Sound klingt so, als ob Django Reinhardt auf Emir Kusturica trifft. Wenn Roland Satterwhite Geige spielt, erinnert er manchmal an die junge Linda Blair in „Der Exorzist“, so dermaßen bäumt er sich auf beim Spielen. Zwei T-Shirts schwitzt er durch im Laufe des anderthalbstündigen Konzerts, das einem deutlich kürzer vorkommt. Allein die Schmerzen in Rücken, Knien und Füßen künden von den Tanzexzessen, zu denen die Band einen getrieben hat. Es wäre fast ein Grund zu heiraten, wenn man wüsste, dass die auf der Hochzeit spielen.

Am Sonntag hab ich mir dann noch mal das Herz gebrochen. Weil es so schön war. Im Theater o.N. auf der Kollwitzstraße gastierte das interkulturelle Erzähltheater „Ein Fenster zur Welt“. Fünf Erzählerinnen, Erzähler und ein Musiker erzählten Märchen. Zusammen oder einzeln. Mit oder ohne Cellobegleitung. Aber nie einfach nur auf Deutsch. Ich habe nie geahnt, wie gut ich Italienisch kann, bevor ich Maria Carmela Marinelli das Märchen „Die kluge Bauerntochter“ erzählen gehört habe, die den König heiratet, weil sie sich in ein Fischernetz hüllt und eine Olive in den Mund nimmt, damit sie weder nackt noch bekleidet noch nüchtern noch hungrig ist. Dabei kann ich gar kein Italienisch.

Den deutschen Teil der Geschichte erzählte Suse Weisse. Sie ist Dozentin an der UdK für den Weiterbildungsstudiengang „Künstlerisches Erzählen – Storytelling in Art and Education“, aus dem die Gruppe hervorgegangen ist. „Das Fenster zur Welt“ war der Titel des ersten internationalen Erzählfestivals im türkischen Sirince, wo die Gruppe in diesem Frühling drei Tage lang in fünf verschiedenen Sprachen Märchen erzählt hat.

Darunter das Märchen vom Fuchs, der der alten Bäuerin die Milch geklaut hat, weshalb sie ihm den Schwanz abhackt. Er soll ihn erst wiederbekommen, wenn er ihr neue Milch bringt. Er fragt die Schafe nach Milch, aber die wollen Gras. Die Wiese will tanzende Mädchen im Tausch gegen das Gras, die Mädchen wollen Perlen, der Kaufmann will Eier, die Hühner wollen Mais, die Erde will Wasser. Ob der Fuchs seinen Schwanz zurückkriegt? Liebe Veranstalter, ladet „Das Fenster zur Welt“ ein, sonst werden wir es nie erfahren!