: Kinder von Einwanderern haben nur die halben Chancen
Der erste nationale Bildungsbericht erforscht, wo genau Migrantenkinder im Bildungssystem benachteiligt werden. Kultusminister kündigen deutsche Studie à la Pisa an
Migrantenkinder sind die großen Verlierer des planmäßigen Aussiebens im deutschen Bildungssystem. Mit dieser Erkenntnis reiht sich der erste nationale Bildungsbericht, den die Kultusministerkonferenz (KMK) Ende vergangener Woche vorstellte, in Pisa- und andere Studien ein. Der KMK-Bericht zeigt jedoch erstmals detailliert, an welchen Sollbruchstellen des Bildungssystems die Kinder von Einwanderern diskriminiert werden. Dazu konnten die Wissenschaftler die statistischen Daten des gestern veröffentlichten „Mikrozensus 2005“ verwenden, aus dem nicht nur die Staatsbürgerschaft, sondern auch der Geburtsort von Eltern und Großeltern hervorgeht.
Die Benachteiligung von Migrantenkindern beginnt dem Bericht zufolge bereits in der Grundschule. „Bei gleichen Leistungen erhalten Schüler mit Migrationshintergrund in der Grundschule etwas schlechtere Noten, was auch die Chance des Übergangs auf höhere Schulen beeinflusst“, heißt es dort. Bei gleichen Leistungen – das schlechtere Abschneiden ist hier also nicht nur auf Sprachprobleme zurückzuführen.
Die zweite große Chancenungleichheit bekommen diese Jugendlichen spätestens nach der Schullaufbahn zu spüren. Bei „gleichen Fachleistungen“ ist die Chance für Migrantenkinder eine qualifizierte Ausbildung zu bekommen nur halb so hoch wie für Deutschstämmige.
Bei dem internationalen Vergleich bestätigt die Studie die jüngste Pisa-Auswertung: Während andere Länder mit systematischer Integrations- und Bildungspolitik die Kompetenzunterschiede der Einwanderer bereits in der zweiten Generation ausgleichen können, bleibe Deutschland deutlich zurück.
Insgesamt haben es Migrantenkinder im deutschen Bildungssystem mindestens doppelt so schwer wie Deutschstämmige: In einigen Bundesländern, so die Studie, haben Migranten eine doppelt so hohe Chance sitzen zu bleiben wie deutschstämmige Schülerinnen. Auch doppelt so viele Schüler mit Migrationshintergrund verlassen die Schule ohne Abschluss.
„Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass die Beteiligung der Migrantenkinder so eklatant unterschiedlich ist von der der deutschen Kinder“, sagte KMK-Vorsitzende Ute Erdsiek-Rave (SPD) bei der Vorstellung der Studie. Es würden sich daraus „handfeste Herausforderungen an die Bildungspolitik“ ergeben, man sei aber auf dem richtigen Weg. Die Studie, die von der KMK und dem Bildungsministerium in Auftrag gegeben worden war, würdigt zwar Maßnahmen wie die Sprachförderung im vorschulischen Bereich – das Team von Forschern weist jedoch darauf hin, dass es bisher nicht genügend Wissen darüber gibt, ob und wie die bisherigen Fördermaßnahmen überhaupt wirken.
Die KMK kündigte daher an, künftig alle zwei Jahre einen Bildungsbericht in Auftrag zu geben. Zudem soll ein nationaler Leistungstest à la Pisa-Studie eingeführt werden. Dieser soll laut KMK-Beschluss das Wissen der Schüler in den Klassen drei, acht und neun stichprobenhaft prüfen. Weiterhin werde Deutschland auch an der Pisa-Studie teilnehmen, so Erdsiek-Rave.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte als Konsequenz aus dem Bildungsbericht erneut eine Abkehr vom gegliederten Schulsystem. „Die heiligen Kühe des deutschen Bildungswesens müssen jetzt ohne Tabu auf den Prüfstand gestellt werden“, erklärte GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne.
Durchlässig, so zeigt der Bericht zudem, ist das Bildungssystem: jedoch vor allem nach unten – „von höher qualifizierenden Schularten auf weniger qualifizierende“. Und darunter leiden vor allem Migrantenkinder.
SASCHA TEGTMEIER