„Vielleicht führen wir zu wenig Kriege“

Der Irakkrieg war richtig. Die USA sollten eher noch mehr Kriege gegen Diktatoren führen als im Moment. Und George W. Bush ist ein guter Präsident, meint William Kristol, Vordenker der US-amerikanischen Neokonservativen

taz: Mister Kristol, wenn jemand Sie einen „Neocon“ nennt – ist das für Sie eine Beleidigung oder eine Ehre?

William Kristol: Oh, das ist ganz sicher ein Ehrentitel!

In Europa kennt man die Neokonservativen besonders wegen ihrer Plädoyers für eine aktivistische Interventionspolitik, also als „Kriegspartei“.

Man sollte uns die „Freiheitspartei“ nennen. Wir müssen immer die Freiheit verteidigen. Und manchmal ist es notwendig, Gewalt einzusetzen, um die Freiheit zu verteidigen – besonders, um unterdrückte Völker von Diktatoren zu befreien. Es ist eben leider nicht so, dass die gesamte Welt nach dem Vorbild der EU modelliert ist, wo die Demokratie blüht.

Das ist das Standardargument der Neocons gegen die „pazifistischen“ Europäer. Was ist denn so schlimm daran, wenn man auf Diplomatie statt Intervention setzt?

Überhaupt nichts! Auch die USA betreiben ganz viel Diplomatie. Wir sind doch nicht gegen Diplomatie. Aber schlagen Sie doch nur die Zeitung auf: Die EU sendet Truppen in den Kongo. Ist die EU jetzt auf Neocon-Kurs eingeschwenkt? Also: Das Problem der Welt besteht doch nicht darin, dass die USA und die Neocons andauernd einen Krieg anzetteln, um Despoten an ihrem Tun zu hindern. Das Problem ist doch, dass wir, wenn schon, eher zu wenige solche Kriege führen, dass wir viel zu selten in der Lage sind, Genozide zu verhindern.Wir haben den ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina zu lange zugesehen. Wir haben in Ruanda den Genozid nicht verhindert. Wäre es in all diesen Fällen nicht besser gewesen, entschiedener das Blutbad zu stoppen?

Glauben Sie nicht, dass es oft gute Gründe gibt, ein zweites Mal nachzudenken, bevor man Truppen schickt.

Klar, ich bin doch kein Idiot. Mehr noch: In 85 Prozent aller politischen Fragen stimme ich wahrscheinlich sogar mit fast jeder europäischen Regierung überein.

Viele meinen, dass die Neocons dafür verantwortlich sind, dass die USA in den Krieg gegen den Irak gezogen sind. Sie haben uns also die Malaise im Irak eingebrockt?

Das ist total falsch. Wir hatten den Irakkrieg 1990, die Sanktionen gegen das Regime danach – alles mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates. Saddam Hussein hat sich darum nicht geschert. Auch Bill Clinton hat 1998 den Irak bombardiert. Es wäre für jede US-Regierung, auch ohne den 11. September, irgendwann notwendig geworden, auf das Scheitern von Diplomatie militärisch zu reagieren. Der Status quo war nicht aufrechtzuerhalten. Da brauchte es nicht den Einfluss der Neocons. So mächtig sind die Neocons nicht.

Sie glauben, dass es Irak heute besser geht als unter Saddam?

Sicherlich. Klar, es gibt Probleme, es gibt diese religiöse Gewalt zwischen den verschiedenen Volksgruppen. Wir haben auch Fehler gemacht: Die US-Führung hat eine viel zu kleine Besatzungsarmee ins Land geschickt. Aber wir können das unter Kontrolle bringen.

Sie haben erwartet, als Befreier empfangen zu werden; jetzt versinkt der Irak im Bürgerkrieg.

Nein, es ist kein Bürgerkrieg. Es gibt Aufständische, und es ist sehr schwer, ihrer Herr zu werden. Ich denke, die große Mehrheit der Sunniten hat mittlerweile verstanden, dass sie nur gewinnen können, wenn sie beim Aufbau des neuen Irak mitmachen. Aber ich gebe es zu: Es ist ein schwieriger Moment. Es ist nicht abschließend entschieden, ob der Sturz Saddams die Anhänger einer liberalen Demokratie im Nahen Osten gestärkt hat oder nicht.

Ist Iran der neue Irak?

Keine Situation ist so wie die andere. Wir haben eine Chance auf eine diplomatische Lösung. Aber die diplomatische Lösung kann es nur geben, wenn es eine glaubhafte Drohung mit militärischer Gewalt gibt. Im Augenblick macht die iranische Führung, was sie will, und schert sich nicht um die gut gemeinten Vermittlungsinitiativen der Europäer.

Wenn die Diplomatie scheitert, sollen die USA dann den Iran bombardieren?

Die Gefahr, die von einem Iran mit Nuklearwaffen ausgeht, ist sehr viel größer als die möglichen Gefahren, die ein militärisches Vorgehen in sich birgt – wobei ich diese Gefahren gar nicht bestreiten will.

Die Zustimmungsraten von George W. Bush sind auf 29 Prozent gesunken. Offenbar gehören Sie zu der kleinen Minderheit, die den US-Präsidenten immer noch gut findet.

Ja, er hat Fehler gemacht. Aber er hat in vielen Dingen die richtige Politik betrieben. Er steht grundsätzlich für eine gute Außenpolitik. Sind die USA heute in einem schlechteren Zustand als vor sechs Jahren? Wenn er so ein miserabler Präsident wäre, wie alle sagen, müsste das doch sichtbare Auswirkungen haben.

INTERVIEW: ROBERT MISIK