: Bye, bye Union Jack!
England ist das Mutterland der Hooligans. „Doch der Ruf ist viel schlechter als die Realität“, sagt Experte Mark Perryman
Mark Perryman kann für nichts garantieren. Schließlich sei er nicht die Queen. Doch er ist guter Dinge. „Spätestens seit der WM 2002 ist die Spirale der Gewalt durchbrochen“, sagt der Hooligan-Experte. Auch bei der EM in Portugal 2004 habe es nur wenig Randale mit englischer Beteiligung gegeben – und die habe entfernt von den Spielorten stattgefunden. „Mittlerweile ist unser Ruf viel schlechter als die Realität“, sagt Perryman.
Der Fan der Tottenham Hotspurs ist seit über zehn Jahren mit der englischen Nationalmannschaft unterwegs. „Wie oft habe ich bei Auswärtsspielen diese blöden Situationen erlebt: Man kommt in eine Stadt, alle Bars sind geschlossen, und niemand will uns ein Hotelzimmer vermieten. Auf dem Weg zum Stadion steht Polizei in Kampfanzügen, und der örtliche Mob sucht das große Kräftemessen. Ein beklopptes Ritual.“ Er glaube aber, dass 99 Prozent begriffen hätten, dass es viel mehr Spaß mache, wenn das Geschehen nicht den Schlägern überlassen werde. Der einst von den notorischen Randalinskis des FC Millwall zynisch kultivierte Antischlachtruf „No one likes us – we don’t care“ solle aus dem Credo der England-Fans verschwinden. Das ist Perrymans Mission, die er regelmäßig über das Internetforum www.LondonEnglandfans.co.uk verbreitet.
Der US-Soziologe und Autor Bill Buford („Geil auf Gewalt“) ging noch Ende der Achtziger mit den „miesen Scheißkerlen“ auf Auswärtstrip – und wurde bei der WM 1990 in Italien von Polizisten verdroschen. Perryman dagegen dokumentiert in seinem gerade erschienenen Buch „Ingerland – Travels with a football nation“ eine völlig andere Szene. „Ich supporte England aus tiefster Überzeugung und erlebe eine Entwicklung auf den Rängen, die sich von Rassismus und Großkrawallen entfernt“, sagt er. Dabei seien die über 3.000 Ausreiseverbote für die Hools hilfreich, doch das allein erkläre den Mentalitätswandel nicht. Viele hätten keine Lust mehr auf Stress.
100.000 England-Fans werden zur WM erwartet. Eine immense Zahl im Vergleich zum letzten Großereignis in Deutschland, der EM 1988, als 7.500 unterwegs waren. Damals hatte ein entfesselter Mob nach dem Spiel gegen Holland den Düsseldorfer Hauptbahnhof zerlegt. „Seinerzeit war der harte Kern auf Tour: Weißhäutige Testosteron-Jungs, die europäische Städte als persönliches Schlachtfeld betrachten“, sagt Perryman. „In Portugal 2004 waren auch fast 100.000 dabei, doch wie viele haben Ärger gesucht: ein paar hundert?“
Was bei Perryman manchmal nach Sozialarbeiterromantik klingt, hat durchaus seine popkulturelle Relevanz. Man besetzt Images, die auf den britischen Inseln schon immer wichtiger waren als anderswo. Die nicht minder trinkfesten Schotten und Iren etwa hatten nie mit einem verschärften Hooligan-Tourismus zu kämpfen. In Abgrenzung von den ungeliebten Engländern hielten sich ganze Jungmännergenerationen an diesen gewaltfreien Code. Warum, fragte sich Perryman, können wir nicht auch so einen „soft patriotism“ entwickeln, der auch den schwarzen und asiatischen England-Fans einen Zugang zur bislang eher fremdenfeindlichen Subkultur ermögliche.
Die englischen Fans haben sich nach der EM 1996 im eigenen Land vom Union Jack verabschiedet. Seitdem ziert das rote Sankt-Georgs-Kreuz auf weißem Grund inflationär die Tribünen. Für Mark Perryman durchaus eine Chance, „Englishness“ unter neuem Banner neu zu definieren. „Es war nicht unwichtig, dieses Image vom Hooliganismus zu entkoppeln.“ RALF NIEMCZYK