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Archiv-Artikel

Bundesrepublik ließ Eichmann unbehelligt

Die deutsche Nachkriegsregierung unter Konrad Adenauer hätte US-Dokumenten zufolge den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann deutlich früher aufspüren können. Sie wollte aber eigene Mitarbeiter mit NS-Vergangenheit schützen

BERLIN taz ■ Neues Futter für Historiker. Die Interagency Group (IWG), eine US-amerikanische Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Geheimdienste sowie des Justiz- und des Außenministeriums, hat erneut der Öffnung von Geheimdienstakten zugestimmt. Die Akten befassen sich generell mit deutschen und japanischen Kriegsverbrechen. Konkret geht es um die Nachgeschichte des Nazismus, als oft genug die Verfolgung von Nazitätern den angeblichen Notwendigkeiten der Kalten-Kriegs-Führung geopfert wurde.

Von großem historischem Interesse ist ein Aktenstück vom 19. März 1958, ein Vermerk, in dem der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) der CIA mitteilt, dass sich Adolf Eichmann seit 1952 in Argentinien unter dem Decknamen „Clemens“ aufhalte. Tatsächlich war der Deckname „Ricardo Klement“, aber ansonsten stimmte der Hinweis. Wenn der BND diese Information hatte, so war sie auch der Bundesregierung bekannt. Schließlich hatte der Chef des BND, General Gehlen, engste Kontakte zum Chef des Bundeskanzleramtes, dem berüchtigten Hans Globke, Ko-Verfasser des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen. Gehlen, im Zweiten Weltkrieg Leiter der Wehrmachtsspionage „Fremde Heere Ost“, trat nach 1945 in den Dienst der Amerikaner, der in den Fünfzigerjahren als BND von der Bundesrepublik übernommen wurde.

Wie zu erwarten, blieb die Bundesregierung in der Sache „Ricardo Klement“ ebenso untätig wie die amerikanische Seite. Angesichts dessen erweist sich im Nachhinein der Entschluss des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, die Information über den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien unter Umgehung des Dienstwegs an Israel weiterzuleiten, als völlig gerechtfertigt.

Die jetzt veröffentlichten Akten belegen nach Auskunft der Interagency Group auch eine Intervention des CIA-Chefs Allan Dulles, mittels deren er einen Hinweis auf Hans Globke in den „Eichmann-Memoiren“ unterdrückte, die von der amerikanischen Zeitschrift Life gekauft und gedruckt worden waren. Nach Dulles’ Meinung handelte es sich um eine „unklare Erwähnung“, die die Zeitschrift „auf unsere Forderung hin“ wegließ. Um welchen Hinweis es sich dabei handelte, war der Mitteilung des IWG nicht zu entnehmen. Die vollständige Information wird künftig bei den National Archives, College Park, Maryland, abrufbar sein.

Dass solche Gefälligkeiten des CIA gegenüber der Bundesrepublik keine Ausnahmeerscheinung waren, zeigt der Fall Kurt Georg Kiesinger, von 1966 bis 1969 Bundeskanzler und vor 1945 erprobter Nazi-Propagandist. Wie in der BND-Studie „Gegen Freund und Feind“ von P. Müller und M. Mueller nachlesbar, ließ CIA-Chef Helms Dokumente, die Kiesinger belasteten, verschwinden, indem er die entsprechenden Verzeichnisse bzw. Findbücher in den National Archives manipulierte.

Die jetzt veröffentlichten Akten werfen nach Auskunft des IWG-Sprechers Robert Wolfe, eines Spezialisten für deutsche Geschichte, Licht auf die Praxis der amerikanischen Geheimdienste, ehemalige Nazi-Funktionsträger anzuwerben, wenn sie nur über das nötige Know-how im schmutzigen Systemkrieg West gegen Ost verfügten. Das ist an sich nicht neu und dank einiger spektakulärer Fälle wie dem des Kriegsverbrechers in amerikanischen Diensten Klaus Barbie auch der Öffentlichkeit bekannt. Die neuen Akten könnten aber über den Gesamtumfang dieser Art von „Kooperation“ unterrichten. Mit der Aufhebung ihres geheimen Status folgt die IWG einer liberalen Praxis, die durch Gesetze von 1998 und 2000 vorgeschrieben ist. CHRISTIAN SEMLER