Diplomaten im Trikot

Verdienstorden oder Militärlager: Die Spieler der Elfenbeinküste haben nicht nur zu kämpfen mit starken Gruppengegnern, sondern auch mit dem schwelenden Bürgerkrieg in ihrem geteilten Land

AUS TROISDORF DANIEL THEWELEIT

„Nein, nein“, sagt Kolo Touré mit einem strahlend freundlichen Lächeln, hier während der ersten Tage im rheinischen Troisdorf müsse man nicht täglich mit Bangen in die Heimat telefonieren, um zu hören, wie es der Familie und den Freunden geht. „Es ist besser geworden“, sagt der Innenverteidiger vom FC Arsenal. Touré spielt für die Elfenbeinküste, ein Land, das sich in einem ständig schwelenden Bürgerkrieg befindet, das hin und her wankt zwischen ruhigen Phasen und offenen Ausbrüchen von Gewalt.

Noch beim Afrika-Cup im Januar und Februar, als die Mannschaft in Kairo residierte, war die Stimmung sehr gedrückt unter den Fußballern. Einmal hat Didier Drogba vom FC Chelsea, der Superstar des Teams, gar ein Fernsehinterview abgebrochen, als er merkte, dass der fragende Journalist keine Ahnung hatte, was in der westafrikanischen Heimat vor sich geht. Trainer Henri Michel sagte damals zu einem Reporter des Spiegel: „Die Spieler glauben, der Friede hänge von ihnen ab.“

Jetzt, zu Beginn der WM, hat diese Last an Gewicht verloren. Wenngleich die Spieler auch dieses Turnier als politische Mission wahrnehmen. „Wir müssen zeigen, dass wir als ein Team, als eine Elfenbeinküste spielen“, sagt Bonaventure Kalou von Paris St. Germain. „Wir kommen aus unterschiedlichsten Regionen und können sehr gut zusammenarbeiten. Wir sind ein Beispiel.“ Denn zu Hause dominiert die destruktive Frage, wer nun eigentlich Ivorer sei und wer nicht, das Denken vieler Menschen.

Politisch ist das Land, in dem über 60 Ethnien zusammenleben, seit 2002 in eine Nord- und in eine Südhälfte gespalten. Die Nordhälfte des großen Territoriums wird von oppositionellen Rebellen kontrolliert, Präsident Laurent Gbagbo beherrscht den Süden, wo sich auch der Großteil der Kakaoplantagen befindet, auf denen 40 Prozent der Weltproduktion des Schokoladengrundstoffs angebaut werden. Doch das Volk profitiert immer weniger davon, 2005 stellte ein UN-Komitee fest, dass die Kakaobehörden – von Vertrauten des Präsidenten geleitet – ein Fünftel des ivorischen Militärhaushalts finanzierten. Gbagbo hat die instabile Situation genutzt, sich und seinen Clans Zugang zum Reichtum des Landes zu verschaffen. Die Fußballer wurden zu unfreiwilligen Helfern seiner Politik.

„Fußball ist in unserem Land momentan das, was uns alle zusammenschweißt, diese WM kommt zu seinem sehr guten Zeitpunkt“, sagt Guy Demel vom HSV. Da klingt die Hoffnung durch, dass etwas bleibt nach der WM, dass tatsächlich eine neue nationale Identität wachsen könnte. Wenn es im Interesse der Macht liegt, werden die Konflikte aber wohl wieder intensiviert werden, Ziel der gemäßigten Gruppen ist eine Präsidentschaftswahl im Oktober, Gbagbo ist diese Perspektive nicht sehr genehm.

Kolo Touré glaubt daher nicht an eine grundlegende Stabilisierung. „Unsere Aufgabe ist, den Menschen ein bisschen Freude zu schenken, aber die Probleme sind immer noch da“, sagt er. Eine Meinung zum umstrittenen Präsidenten ist ihm natürlich nicht zu entlocken, zu gefährlich wäre das auf einem Kontinent, wo Staatschefs schon mal Einfluss auf Mannschaftsaufstellungen und die Wahl des richtigen Nationaltrainers nehmen. Es ist gerade einmal sechs Jahre her, dass der damalige ivorische Präsident, General Robert Gueï, die in der ersten Runde des Afrika-Cup gescheiterten Spieler in einem Militärlager einsperren ließ. Drei Tage „patriotische Erziehung“ mussten die Versager über sich ergehen lassen, mit der Androhung, beim nächsten Misserfolg für drei Monate kaserniert zu werden.

Der gegenwärtige Präsident ist natürlich sehr zufrieden mit seinen Stars. Als die Spieler als gefeierter Zweiter vom Afrika-Cup heimkehrten, zog das Team in einer Parade durch die Hauptstadt Abidjan, das Ziel war der Palast Gbagbos. Der Präsident schlug jeden der Helden zum „Ritter des Verdienstordens“ und beschenkte sie mit wertvollen Immobilen. „Wir wollen alles tun, damit unser Land wieder gesund wird“, sagt Mittelfeldspieler Didier Zokora vom AS St. Etienne. Aber sie sind eben nur Fußballer, und als solche wirken sie irgendwie hilflos zwischen den Mühlsteinen der Macht.

Auf dem Fußballplatz sieht das ganz anders aus. Die Elfenbeinküste profitiert von einer außergewöhnlich gut ausgebildeten Spielergeneration, die noch längst nicht den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hat. Der Grund dafür liegt am Rande Abidjans. Dort gibt es eine der besten Fußballakademien Afrikas. Der Franzose Jean-Marc Guillou, ein alter Weggefährte von Arsène Wenger, vermittelt dort die „Philosophie eines schnelles Kurzpassspiels“, berichtet Touré. Rund die Hälfte des WM-Kaders hat diese Schule genossen. Die Akademie ist dabei nicht nur ein Segen für die Nationalmannschaft des Landes und Grundlage für die jüngsten Erfolge, sie half auch vielen Spielern, zu vernünftigen Bedingungen nach Europa zu wechseln. Und das ist für viele Talente oftmals noch viel mehr wert.

So spielen mittlerweile fast alle Auswahlkicker in großen europäischen Ligen, die meisten in Frankreich. Hätte ihnen das Los nicht die schwere Gruppe C mit Argentinien, Holland sowie Serbien und Montenegro beschert, dann wäre die Elfenbeinküste jener Außenseiter, dem vielleicht am ehesten eine große Überraschung zuzutrauen wäre. So jedoch „kommt alles auf das erste Spiel an, diese Partie wird unser Turnier prägen“, sagt Trainer Michel. Und da wartet am heutigen Samstag in Hamburg kein Geringerer als Argentinien.