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Archiv-Artikel

Spitzel in schlechter Verfassung

Der Verfassungsschutz gibt die Bespitzelung des Berliner Sozialforums zu. Nicht der Politologe Grottian, sondern „autonome Gruppen“ seien der Grund gewesen, sagt Chefin Claudia Schmid. Linkspartei kritisiert die Behörde scharf. Prüfung angekündigt

von FELIX LEE

Die angebliche Bespitzelung des linken Politikprofessors Peter Grottian und des Berliner Sozialforums durch den Verfassungsschutz könnte eine Koalitionskrise auslösen. Im Zentrum der Kritik: Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Sollten sich entsprechende Medienberichte bestätigen, fände dies seine „ausdrückliche Missbilligung“, sagte Harald Wolf (Linkspartei) gestern, Wirtschaftssenator und als Berlins Bürgermeister der Vertreter von Klaus Wowereit (SPD). Auch wenn die „kritische Initiative“ nicht allen gefalle, für eine Beobachtung des Sozialforums sehe er „keinen Grund“. Körting müsse dazu in der Senatssitzung heute Auskunft geben.

Der Spiegel hatte am Wochenende berichtet, dass nicht nur die Berliner Bespitzelungsbehörde, sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz die Initiative des linken Professors jahrelang durch mindestens zwei V-Leute beobachten ließ. Grottian, der an der Freien Universität lehrt, ist Gründungsmitglied des Berliner Sozialforums. Das außerparlamentarische Bündnis besteht aus zahlreichen linken Gruppen, es war besonders bei den Protesten gegen die Hartz-IV-Gesetze im Jahr 2004 aktiv.

Der Verfassungsschutz bestätigte die Bespitzelung gestern am späten Nachmittag offiziell. Behördenchefin Claudia Schmid betonte jedoch, dass weder Grottian noch das Sozialforum Beobachtungsobjekte seien. „Im Interesse des Verfassungsschutzes stehen allein die autonomen Gruppen“, sagte Schmid.

Doch auch bei der Bespitzelung der „einzelnen autonomen Gruppen“ habe es Fehler gegeben. „Beim Verfassungsschutz eingehende Informationen müssen daraufhin überprüft werden, ob sie von Relevanz für das Beobachtungsobjekt sind – hier: autonome Gruppe – sind“, sagte die Behördenchefin.

Eine erste Durchsicht der Unterlagen habe ergeben, dass die „notwendige Differenzierung nicht ausreichend beachtet wurde“. Innensenator Körting versuchte zu beschwichtigen: „Offensichtlich zieht die Abteilung Verfassungsschutz die notwendigen Konsequenzen. Ich warte das Ergebnis der Überprüfungen ab.“

Grottian selbst glaubt auch nicht, dass Körting die Bespitzelung angeordnet hat. Eher sei ein Fall von „Selbstdynamisierung“ eines Geheimdienstes zu vermuten. Dienste wie den Verfassungsschutz bezeichnete er als „strukturell reformunfähig“, die deshalb abgeschafft gehörten.

Überrascht über die Spitzelaffäre zeigte sich auch der Linkspartei-Politiker Steffen Zillich. „Der Verdacht liegt nahe, dass der Berliner Verfassungsschutz Grenzen überschritten hat“, sagte Zillich. „Sollte sich herausstellen, dass das Sozialforum und sein Protagonist Peter Grottian beobachtet worden sind, wäre das ein Beleg dafür, wie hartnäckig sich alte Feindbilder auch in einem reformierten Verfassungsschutz halten.“ Bei Regierungsantritt hatte sich die Linkspartei zum Ziel gesetzt, die Abteilung für Verfassungsschutz auf ihr Kerngeschäft zu beschränken. Damals wie heute nennt sie es „Politikberatung“.