Emigrierte Stars

Hervorragende Spieler mit polnischen Wurzeln bereichern den deutschen Fußball schon seit vielen Jahren – nicht immer zur Freude der Polen

AUS WARSCHAU RAFAL WOS

Ernest Wilimowski sah aus wie eine Figur aus einem Zeichentrickfilm: Er hatte Segelohren, ein breites Lächeln und Löckchen auf der Stirn. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg war er im polnischen Teil Oberschlesiens ein echter Star, mit allem, was dazu gehört: Ruhm, Alkohol und Frauen. Wie er Fußball gespielt hat, können wir nicht mehr wissen. Die mageren Filmchroniken aus den 30er-Jahren zeigen nicht viel. Angeblich war er das größte Fußballtalent, das je in Polen zu sehen war. Viele sind davon überzeugt, dass er die polnische Nationalmannschaft in der WM 1942 zum Titel hätte führen können. Dazu kam es aber nicht: Zwischenzeitlich hatte Adolf Hitler Polen erobert. Im Jahr 1942 spielte Wilimowski (in deutschen Listen mit Doppel-l und dem Vornamen Ernst geführt) schon in einem anderen Trikot. Er trug nicht mehr den weißen Adler auf der Brust, sondern das Hakenkreuz.

Das haben ihm die Polen nie verziehen. Bis in die 90er-Jahre galt Wilimowski in seiner Heimat als Kollaborateur. Kein Wunder – schon für weniger eindeutige Fälle der Zusammenarbeit mit den Deutschen konnte man von der polnischen Widerstandsbewegung während des Zweiten Weltkriegs zum Tode verurteilt werden. 1940 hat Ernest die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Er war 25 Jahre alt, er wollte leben und Fußball spielen. Reichstrainer Sepp Herberger kannte „Ezi“ sehr gut. Herberger hatte ihn während der WM 1938 gesehen, als er viermal für Polen gegen Brasilien traf. Schnell berief er den neuen Staatsbürger in seinen Kader. In den Jahren 1941 und 1942 spielte Wilimowski achtmal unter dem Hakenkreuz und erzielte 13 Tore – eine Traumbilanz. Er hätte wohl noch mehr erreichen können, aber das Dritte Reich spielte nur gegen seine Alliierten oder neutrale Staaten. 1943 war es auch damit vorbei. Und nach dem Krieg war es für Wilimowski zu spät. Er spielte noch Fußball, bis er vierzig Jahre alt war, als Star in Lokalvereinen. Später lebte er in Karlsruhe. Nach Polen ist er nicht zurückgekehrt. Es war zu unsicher. Er konnte nicht wissen, was er von den Kommunisten zu erwarten hatte – vielleicht sogar die Todesstrafe. „Vater hat aber nie ein schlechtes Wort über Polen gesagt“, erinnert sich seine älteste Tochter Sylvia.

Die Polen hingegen ließen kein gutes Haar an ihm. Zuerst wurde sein Name aus den polnischen Fußballstatistiken gestrichen. Später hat die offizielle Propaganda versucht, seine Leistung zu relativieren. Nicht Wilimowski, so lautete die neue Interpretation, habe bei der WM 1938 die Brasilianer gestoppt – es sei vielmehr der Verteidiger Szczepaniak gewesen. „Das war für meinen Vater natürlich unangenehm“, erzählt Tochter Sylvia weiter. „Er konnte sich weder als Pole noch als Deutscher fühlen. Als der DFB ihm eine Arbeitsstelle anbot, hat er abgelehnt. Dort sollen nur Leute arbeiten, die hier aufgewachsen sind, sagte mein Vater immer.“

Als in Polen die Wende kam, hat auch Ernst Willimowski eine unerwartete Renaissance erlebt. Obwohl man seinen Namen bis heute mit dem Kollaborationsvorwurf assoziiert, spricht man jetzt auch über sein fußballerisches Genie und seine Leistungen für die polnische Nationalelf. Willimowski hat davon noch erfahren. Er ist trotzdem nie wieder nach Schlesien gekommen. „Er war nicht der Typ, der etwas beweisen muss“, sagt Tochter Sylvia. 1997 starb er.

Schlesische Schicksale wie das Wilimowskis gelten in Polen nicht mehr als Tabuthema. Im Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit in Gleiwitz wird heute, anlässlich des Spiels Deutschland gegen Polen in Dortmund, eine Ausstellung zum Thema eröffnet. Spieler mit polnischen Wurzeln haben in der Geschichte des deutschen Fußballs viele Spuren hinterlassen – insbesondere im Ruhrgebiet. Zum Beispiel Ernst Kuzorra und Fritz Szczepan, die beiden legendäre Spieler von Schalke 04 aus den 30er-Jahren. Als Schalke 1934 Deutscher Meister wurde, stand in den polnischen Zeitungen: „Die polnische Mannschaft ist Deutscher Meister geworden.“ Die Namen klangen tätsachlich nicht besonders deutsch: Kuzorra, Szczepan, Zajons, Urban. Die Clubchefs haben schnell einen offenen Brief im Kicker veröffentlicht, in dem die Spieler erklärten, dass sie zu hundert Prozent deutsch sind.

Seit Kriegsende sind knapp anderthalb Millionen Polen nach Deutschland emigriert. Offiziell hießen sie „Spätaussiedler“, aber der größte Teil war einfach auf der Suche nach einem besseren Leben im Westen. Die aus Polen stammenden Fußballer im deutschen Nationaltrikot sind ein guter Indikator dieses historischen Prozesses. Einer der ersten war Harald Konopka. Der spätere Star des 1. FC Köln wurde in den 50er-Jahren in der Nähe von Gliwice (Gleiwitz) geboren. Die nächsten waren Dariusz Wosz und Martin Max. Der Höhepunkt jedoch kam Mitte der 80er-Jahre, ein wahrer Exodus: die Familie Klose aus Opole (Oppeln), die Familien Freier und Podolski aus Gliwice (Gleiwitz), Sinkiewicz aus Tychy, Polanski aus Sosnowiec (Sosnowitz), Trochowski aus Tczew.

Die Söhne treffen sich in deutschen Mannschaften. „Mit Lukas Podolski spreche ich meistens auf Polnisch“, sagte der Nationalstürmer Miroslav Klose im Gespräch mit dem Stern. Paul Freier von Bayer Leverkusen (Geburtsname Slawomir) ist dem Klinsmannkader nahe. Lukas Sinkiewicz (1. FC Köln), Piotr Trochowski (Hamburger SV) und Eugen Polanski (Borussia M’gladbach) haben gute Perspektiven.

In Polen wird diese Lawine von polnischen Namen in deutschen Teams mit Eifersucht kommentiert. Könnten die nicht doch für uns spielen? Unter dem Druck der Öffentlichkeit hat der polnische Nationaltrainer Pawel Janas ein weißrotes Trikot mit der Nummer 10 und dem Namen Podolski nach Köln geschickt.

Und auch die Polen fangen an zu akzeptieren, dass sie ohne Podolski und Klose auskommen müssen. Es fällt ihnen jetzt aber auch leichter: sie haben Euzebiusz Smolarek. Den Kampfgeist hat er von seinem Vater Włodzimierz geerbt, einem brillanten polnischen Bundesligaspieler aus den 80er-Jahren. Seine Technik hat er an einer holländischen Fußballschule gelernt. Genauso gerne würden die Polen Podolskis Nachfolger, die noch nicht für Deutschland gespielt haben, in ihrer Nationalmannschaft willkommen heißen. Jungs wie Sinkiewicz, Polanski oder Trochowski haben wahrscheinlich keine Ahnung, welches Glück sie haben. Im Gegensatz zu Wilimowski können sie frei wählen – ohne die Angst, als Verräter verurteilt zu werden.