90 MINUTEN … MIT JÖRG SCHMADTKE

Deutsche Übermoderne in Stoffturnschuhen

Wie guckt eigentlich ein Bundesliga-Manager und früherer Profi die Fußball-WM? „Na ja, meistens hier“, sagt Jörg Schmadtke, Sportdirektor von Aufsteiger Alemannia Aachen und früherer Bundesligatorwart (Düsseldorf, Freiburg und Leverkusen), in seinem Büro, arbeitsbegleitend. „Ich … puuh, jetzt, drin. Neiiin!“ Schmadtke wird gleich eruptiv. Von wegen Mr Cool, wie sie ihn in Aachen nennen. Die erste Chance vertan im Spiel Australien – Japan. „Die gehen es beide offen an, das will man doch sehen.“

Fiebert da der Fan mit in Jeans und Stoffturnschuhen, lässig hingelümmelt? „Na ja, zuerst ist da das Interesse am Fußball. Wenn kein Termin ist, gucke ich fast alles. Abends auch mit Freunden zu Hause.“ In Biergärten? „Nö, zu viele Leute.“ 1998 in Frankreich war das anders: „Urlaub mit Kumpels. Da haben wir immer ein paar Büchsen Bier gekauft, und dann vor die Leinwände.“ Ein Australier bekommt den Ball ins Gesicht, krachend: „Puuuh, voll in die Fresse. Aber es ist ja fürs Vaterland.“

Erwartung des Reporters: Tiefe Geschehensanalyse. „Ach nö“, sagt Schmadtke, „das meiste weiß man doch. Und im Fernsehen sieht man nur zum Teil, wie die Teams ihr Spiel aufschlüsseln.“ Einen potenziellen Neuzugang entdecken? „Wer bei der WM spielt, den können wir nicht bezahlen.“ Widerrede: Manche spielen 3. englische Liga. „Och, die zahlen gut in England.“ Takahara (Frankfurt) schon mal vorbeobachten für die Liga? „Ach, den kennen wir doch.“

Schmadtke will seinen Spaß beim Fußball. Und sich als Ex-Linienmann solidarisch ärgern, als Japan in Führung geht, nach Torwartbehinderung. „Das muss der Schiri doch pfeifen. Ach nein.“ Torhüter sind arme Schweine? „Ganz arme.“

Es läuft Premiere. „Gewohnheit, wenn man es hat“, sagt Schmadtke, „besseres Bild, sachlicher.“ Alternative wäre das ZDF. Schmadtke sagt nur ein Wort: „Kerner.“ Schweigen. „Sorry, den ertrage ich nicht.“ Halbzeit, Einspiel-Interview mit unfreiwillig hektischen Kameraschwenks auf Bitburger-Flaschen. Schallendes Gelächter: „Was machen die denn? Großartig. Das gibt Ärger. Bud wird schäumen.“

Lieblings-Team? „Wir“ oder „Deutschland“ fällt explizit nicht. „Brasilien sieht jeder gern. Argentinien hat eine gute Symbiose zwischen Spielkultur und diesem giftigen Ackern.“ Favorit? „Keine Ahnung, wirklich. Ein Spiel, und alles kann sich ändern.“ Und die Deutschen? „Die Innenverteidigung steht zu offensiv. Das ist lebensgefährlich.“ Jahrelang machte der deutsche Fußball das altbackene Gegenteil: mit Libero, Absicherung weit hinten. Wir einigen uns auf „Kompensation durch Übermodernität“. Schmadtke schalklächelt: „Sehr gut; das isses.“ Dann sagt er Dinge zur deutschen Elf, die nicht zitiert werden sollen.

Viele WM-Spiele bislang waren entschlossen, offen, temporeich – fällt das erste Tor, wird das Spiel zäh. Schmadtke bestätigt: „Ein Tor, und zack, ist alles ganz anders. Dann regiert die Defensive, taktisch auf höchstem Niveau.“ Keine gute Prognose für Fußballs Unterhaltungswert! „Leider nein. Aber diese Tendenz deutet sich schon länger an.“

Joshua Kennedy wird eingewechselt, Australiens Noch-Dresdener, der fast nach Aachen gewechselt wäre: „Ja, da waren wir nah dran.“ Wieder Solidarität: „Los, Josh, nimm die Ellbogen mit. Wenn der trifft, das wär’s doch.“ Schmadtke freut sich auch mit dem japanischen Torwart für dessen tolle Reflexe: „Unglaublich der Typ.“ Er grummelt mit (Nööö, so nicht“) und nörgelt („Scheißpass“) und freut sich („super gemacht“) und oooht und aaaht. Beim Allerheiligsten aber, dem erfolgreichen Torschuss, bleibt er Mr Cool. Ausgleich. Nach Torwartfehler. „Armer Kerl. Torwart ist ein richtiger Scheißjob.“

Aus 0:1 wird noch ein 3:1 in den Schlussminuten. „Prima. Die Aussies haben’s noch gedreht.“ Und wir hatten noch vorher herumanalysiert, warum sie es nicht schaffen werden. Quintessenz der eigenen Fehlprognose: „Fußball ist einfach sensationell, oder?“ BERND MÜLLENDER