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Archiv-Artikel

Arktisches Öl wird angezapft

GRÖNLAND Trotz zahlreicher Proteste sollen Bohrungen noch im Sommer beginnen

Die Gas- und Ölvorkommen sollen größer sein als die von Nigeria oder Libyen

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLF

Trotz aller mittlerweile laut gewordener Bedenken, trotz der Kritik von Umweltschutz- und Inuit-Organisationen und auch nachdem die USA und Norwegen die Ölprospektierung in vergleichbaren Gewässern erst einmal bis mindestens zum kommenden Jahr gestoppt haben: In den arktischen Gewässern vor Westgrönland soll in diesem Sommer neu nach Öl gebohrt werden.

Auf einer Umweltministerkonferenz der Länder des Arktischen Rats letzte Woche im grönländischen Ilulissat wurde klar, dass die grönländische Selbstverwaltungsregierung nicht beabsichtigt, ihre entsprechenden Pläne aufzuschieben. Vorgesehen sind Öl- und Gas-Prospektierungsbohrungen durch die schottische Cairn Energy PLC in einem Meeresgebiet zwischen dem grönländischen Festland in Höhe der Disko-Bucht und der kanadischen Baffin-Insel.

Ab Anfang Juli bis Mitte September 2010 soll von zwei Plattformen aus in einer Wassertiefe von 300 bis 400 Metern bis zu zwei Kilometer tief gebohrt werden.

Das einzige Zugeständnis Grönlands: Nachdem die Regierung in Ottawa Bedenken geltend gemacht hatte – die Bohraktivitäten finden in unmittelbarer Nähe zur Grenze der kanadischen Territorialgewässer statt –, wird nun ein Inspekteur des kanadischen National Energy Board vor Ort in Grönland stationiert werden, um die dortigen Behörden in Sicherheitsfragen „zu beraten“.

Peter Wadhams, Professor für Ozeanografie an der Universität Cambridge, bezeichnet es in der schottischen Zeitung The Herald als „Idiotie“, die Bohrpläne umzusetzen, solange die bestehenden Sicherheitsbedenken nicht ausgeräumt seien. Rasmus Hansson, Generalsekretär von WWF Norwegen, pflichtet ihm bei: „Die Ölkonzerne haben die Risiken, die mit Bohrungen vor Grönland verbunden sind, bisher unzulässig heruntergespielt.“ In der „Davis Strait“, in der gebohrt werden soll, wimmele es auch im Sommer von Eisbergen. Und sein WWF-Kollege Craig Stewart fragt sich, wie sorgfältig die noch unerfahrenen grönländischen Behörden eigentlich bei der rekordschnellen Erteilung der Bohrgenehmigungen haben arbeiten können.

Jørn Skov Nielsen, Direktor des grönländischen Rohstoffdirektorats, weist solche Kritik zurück und hebt die wirtschaftliche Bedeutung der Bohrungen für das Land hervor: „Wenn wir Glück haben, ist die Produktion in zehn Jahren im Gang.“ Die unter dem Meeresboden vor der Küste Nordwest- und Nordostgrönlands vermuteten Gas- und Ölvorkommen würden auf 50 Milliarden Barrel – mehr als die von großen Ölländern wie Nigeria oder Libyen – geschätzt. „Wir brauchen eine stärkere Wirtschaft, und wir müssen die Möglichkeiten, die das Öl uns bieten kann, ausnutzen“, erklärte der grönländische Premierminister Kuupik Kleist kürzlich in der Zeitschrift National Gegraphic.

Nach der seit dem vergangenen Jahr geltenden erweiterten Autonomie Grönlands gehört die Ausbeutung der Rohstoffe zu den Selbstverwaltungsaufgaben der Inselregierung. Das dänische Mutterland darf sich nicht mehr in die konkreten Entscheidungen einmischen, sondern allenfalls noch Ratschläge geben.