Iraner kennen keinen Kitsch

INTERKULTURELL FEIERN

Seit der Geburt unseres Kindes sind wir auf dem Traditionstrip

So aufregend war Weihnachten seit den frühen 80ern nicht mehr. Damals hatte der Weihnachtsmann, also mein Vater, die Geschenke für mich und meinen Stiefbruder vertauscht: Ich bekam ABBAs „Greatest Hits“ statt Status Quo – und wusste beim ersten Hören, dass mein Leben endlich einen Sinn hatte.

Dieses Jahr war die Aufregung der Tatsache geschuldet, dass wir als frischgebackene Kleinfamilie zum ersten Mal selbst das Fest ausrichten sollten. Alle kamen zu uns: meine Eltern aus Köln, die Schwiegereltern aus Gießen. Und Kati, die Halbschwester meines Mannes, mit ihren zwei Kindern Negar und Ali aus Hamburg. Die drei kommen aus Iran und leben erst seit Kurzem in Deutschland. Entsprechend gespannt waren sie auf ein richtig deutsches Weihnachten.

Mein Mann und ich, seit der Geburt unseres Kindes ohnehin auf dem Traditionstrip, hatten das volle Programm vorbereitet: um 18 Uhr Bescherung unterm Weihnachtsbaum, anschließend Rinderbraten mit Rotkohl und Salzkartoffeln, zum Nachtisch Backäpfel. Dazu Rotwein und Schnaps zur Beschleunigung der interkulturellen Öffnung.

Die Bescherung ließ sich gut an. Obwohl die mit einem Strohstern gekrönte Tanne nur knapp einen Meter maß und die Lichterkette gerade mal 50 Zentimeter, brach Kati in laute Entzückensrufe aus. Bis zum Essen waren die Iraner dann damit beschäftigt, sich gegenseitig vor dem Baum zu fotografieren. „Im Persischen gibt es kein Wort für Kitsch“, erklärte mein Mann.

Das Essen verlief ohne Komplikationen, sieht man davon ab, dass mein Vater beim Fotografieren der Tischgesellschaft einen seiner berüchtigten Witze losließ: „Was sagt ein Fotograf in Ägypten, wenn er eine Gruppe fotografieren will? Allemalachen!“ Noch besser sein Spruch, als der Rotwein kredenzt wurde: „Ich dachte, im Iran ist Alkohol verboten?!“

In der Tat zeitigte der Alkohol Wirkung bei Kati, die nach dem Grappa drohte, auf dem Tisch bauchzutanzen. So weit kam es nicht. Aber ihr Schwips ließ sie später kurz ernst werden. Sie fragte unvermittelt: „Wie alt ist Jesus geworden?“ – „Ich glaube, 34“, antwortete ich. „33!“, fiel mir mein Vater ins Wort. „Und er hatte keine Familie!“ Das konnte ich so nicht stehen lassen. „Dafür aber eine Geliebte“, entgegnete ich schadenfroh. „Davon weiß ich nichts“, sagte mein Vater. „Sicher nur eine Freundschaft.“

Zum Abschied küsste mein Vater die Iraner auf die Wangen – dreimal, wie es sich gehört. „Kommt mich gerne mal in Köln besuchen“, sagte er zu Kati. „Wir haben da einen Dom. Das ist eine große Kirche!“ SUSANNE MEMARNIA