: Poesie, die kippt
KARRIERE Shara Worden könnte nächstes Jahr als Sängerin groß rauskommen – vorausgesetzt, Eigensinn ist erlaubt
VON WALTRAUD SCHWAB (TEXT) UND MIGUEL LOPES (FOTO)
Wichtig sein? Unwichtig sein? Das sind so Fragen, die Shara Worden auf freundliche Weise verneint. Was soll sie darauf auch antworten? Wenn sie ihre Zukunft vorausgesagt haben will, geht sie zu einer Wahrsagerin und redet nicht mit Journalisten. Shara Worden, Sängerin, Musikerin, Komponistin, Enkelin eines Wanderpredigers, Tochter eines Akkordeonspielers und Evangelisten, die das Wort „Wort“ in ihrem Namen hat, findet, dass die Zukunft in der Gegenwart gestaltet werden muss. Damit hat sie genug zu tun. Denn die Gegenwart ist roh.
„There’s a rat in my kitchen and he’s eating my cheese“, singt Worden, sie singt es auf eine so zarte Weise, dass das Problem noch lösbar scheint. Nur dass die Ratte ein Er ist, passt nicht. „There is a snake in the cellar and he’s drinking my wine“ – auch das geht, denn es ist unwahrscheinlich. Wer hat schon mal eine Schlange Wein trinken sehen? Obwohl, auch diese Schlange ist männlich. „There’s a moth in my closett and he is eating my clothes“, ja, Motten sind schlimm, aber kein Weltuntergang. Nur maskulin sind sie eigentlich nicht. Und dass im Dach ein Vogel ist, der ihr das Lied stiehlt, das ist Poesie – eine die kippt. Denn ab der nächsten Zeile ist nichts mehr wie vorher: Da nämlich steht ein Mann vor ihrer Tür. „There is a man at the door and his motive is wrong.“ Es ist der Gerichtsvollzieher, der ihr das Haus wegnehmen will, wie es in der Hypothekenkrise in den USA tausendfach passierte. Dass Banker, Rechtsanwälte, Politiker Diebe seien, sagt sie nicht, aber sie packt sie alle in eine Aufzählung.
Auch die anderen Lieder auf ihrer letzten CD „All Things Will Unwind“ sind von ungeheurer Poesie und einem radikalen Blick auf die Gesellschaft. Gleichzeitig werden sie von musikalischen Kompositionen gehalten und aufgefangen, in denen ein Streichquartett mit einer Rockband verschmilzt, problemlos. Kammerpop mache sie – ein schönes Wort. Aber in ihrem nächsten Album, das im Mai herauskommen wird, müsste es wohl Blasmusikpop heißen. Denn sie experimentiert weiter mit all jenen musikalischen Ausdrucksformen, die den einfachen Leuten auf den Leib geschneidert sind. Was bei ihren Experimenten herauskommt, heißt nicht Avantgarde, sondern „Avantpop“.
Regen
Ihr seien diese Zuschreibungen egal. Sie will nicht mit Musik schockieren, wohl aber aufwecken. In einem ihrer schönsten Liebeslieder fordert sie, dass die Fluchtwege versperrt werden, damit sie nicht vor der Liebe wegrennen kann. Eins ihrer schönsten sozialkritischen Lieder spielt mit den drei Wörtern „hoch“, „tief“ und „dazwischen“, „high, low, middle“ – es geht darum, wie Menschen sich nach der Decke strecken, um ein Auskommen zu haben. „Be low, but not too low“singt sie am Ende des Liedes und das heißt sehr viel: Sei nicht anmaßend, sei bescheiden, aber lass dich nicht zertreten von denen, die über dir stehen. In einem ihrer schönsten Wiegenlieder wiederum versichert sie dem Kind, dass sie ihm, selbst tot, als Mohnblume oder als Regen noch sagen wird, dass es okay ist, so wie es ist.
Nichts, was sie singt, ist banal. Es wird von einem musikalischen Gerüst gehalten, das mal poppig, mal rockig, mal sanft, mal hart wirkt. Ihr Gesang ist das Echo ihrer Texte. Ihre Texte aber sind Poesie, da passt es, dass sie auf Englisch „lyrics“ heißen.
Anfang Dezember war sie in Berlin, saß auf einem geschwungenen alten Sofa in der Lounge des Hotels Michelberger, das sehr „in“ ist bei Berlintouristen, weil es das Improvisierte, das Zusammengeschusterte, Vintage und Paletten-Chic gemischt mit Berlinsehnsucht, auf die Spitze treibt. Selbst die alten aufeinandergestapelten Koffer in der Rezeption sind nur Inszenierung, die aber doch auf die schlimme deutsche Geschichte verweist.
Auf dem Sofa die zierliche Frau mit schwarzen Haaren, die oben zusammengesteckt, hinten aber lang gelassen sind, es sieht aus, als hätte sie ein Krone aus Haar im Haar. Um den Hals trägt sie eine Kette mit silbernem Vogel. Es soll eine Taube sein, aber für sie sei es ein Phönix. Sie braucht den Phönix, weil sie sich gerade neu erfindet, nach der Trennung von ihrem Mann. „Wenn du traurig bist, kannst du Traurigkeit auch besser zum Ausdruck bringen“, sagt sie.
Auf ihrer blauen Strumpfhose wiederum rennt eine Herde Einhörner über die Beine. „An manchen Tagen fühlst du dich wie ein Hase, an anderen wie ein Tiger, an wieder anderen wie eine Schildkröte. Und dann gibt es Tage, an denen fühlst du gar nichts, wärst aber gerne ein Einhorn.“ Shara Worden hat indianische Vorfahren. Und deutsche. Und irische. Wenn sie es sagt, klingt es echter: „A bit of Irish, a bit of German and Cherokee from both sides.“ Dann zeigt sie ihre Nase, die indianisch sei. Und dass sie, obwohl bald vierzig, kein graues Haar habe. Die Haare von Cherokees würden nicht grau.
Worden komponiert, sie entwickelt Singopern, arbeitet mit vielen Musikern zusammen, den Blind Boys of Alabama, dem Rapper Vinnie Paz, mit dem Komponisten David Lang, anderen, sie schreibt Lieder und Texte, sie singt Kurt-Weill-Songs und Opernrollen. Das, sagt sie, gereiche Künstlerinnen – aus der Sicht, derer, die Kunst beurteilen – zum Nachteil, wenn sie vielseitig sind. Umgekehrt werde sie für Künstlerkollegen interessant, weil sie ein Joker sei, weil sie jedes Projekt, bei dem sie mitmacht, ins emotional Extreme führen kann auf eine ganz eigene Art. Sie will bei allem zum Kern kommen.
Wind
Auch mit der experimentellen Musikperformancekünstlerin Laurie Anderson hat Shara Worden zusammengearbeitet, sowie mit Meredith Monk, einer Extremvokalistin, Komponistin, Choreographin – beide sind eine Generation älter als Worden. Meredith Monk erklärte einmal, was es bedeute, in allem nach der Essenz zu suchen. Sie nahm eine Tasse in die Hand, zeigte darauf und sagte, es gehe „um die Tassenheit der Tasse“. Das will Worden auch: das Wesen von jedem Ding erkunden mit Musik. Aber anders als Monk, die keine Worte, nur noch Laute, verwendet, um die allem innewohnende Kraft zu besingen, will Shara Worden nicht auf Sprache verzichten. „I am not prepared to let go of words“, sagt sie.
Nach Berlin ist sie gekommen, weil sie bei einer Veranstaltung mitmachte, die radiale Vokalnacht heißt – dort teilte sie ihre Lieder mit anderen. In schwarzen Schnürstiefeln, enger Hose, schwarz-weißem Jackett stürmt sie auf die Bühne, ihr Gang nach vorne gebeugt, sie greift nach der E-Gitarre, stimmt sie ein, beginnt zu singen. Wie schwer etwas ist, das am Ende leicht wirken wird, weiß nur sie. Statt Streichquartett hat sie nun einen Chor und einen Drummer, der sie hält, aber es bräuchte sie niemand zu halten, ihre operngeschulte Stimme würde noch heiser alleine tragen – ein wenig ist sie auch Predigerin wie ihr Großvater. Oder Hohepriesterin – „My brightest Diamond“ eben. So lautet ihr Künstlername. Im Februar wird sie schon wieder in Berlin sein bei einem Projekt in der Volksbühne. Im Mai beim Schumannfest in Düsseldorf.
Aber, und das ist ein ernst gemeinter Einwand, wie kann etwas immer noch intensiv sein, wenn man es ständig wiederholt? Nein, sie wiederhole nicht, antwortet sie. Dann versucht sie, es an anderen zu erklären, an James Brown oder Michel Jackson. Wenn diese Konzerte gegeben haben, dann mag das am Anfang Show gewesen sein, bis zu dem Moment, wo es aus sich heraus zu etwas eigenem, nur im Augenblick Existierenden wurde, also Wirklichkeit. „In art the blood is real“, zitiert sie die Künstlerin Marina Abramovic. In der Kunst ist Blut echt.
Vor drei Jahren ist Worden von New York nach Detroit gezogen. In eine Bauernkommune. Detroit, ehemals Automobilstadt, in der keine Autos mehr produziert werden, ist eine Blaupause für Kapitalismus, der am Ende ist. Wenn Worden von Detroit erzählt, spricht sie über Armut. Es sei unglaublich, wie arm vor allem die schwarze Bevölkerung sei. Jeder, der dort lebt, baue sein Gemüse an – als suchten die Menschen nicht nur nach essbaren Wurzeln, sondern auch nach den Wurzeln der Zivilisation.
Und Sturm
New York sei perfekt und die Kunstszene dort sehr produktiv, aber sie wollte Kontakt zu echten Menschen – „real people“. Sie brauche deren Einfachheit, deren unverstellten Blick auf die Wirklichkeit. Deshalb Detroit, auch weil sie ihrem drei Jahre alten Sohn Zugang zur Schönheit und Unbeschwertheit der Natur geben wollte, so wie sie selbst ihn früher hatte, als sie auf der Farm ihres Großvaters aufwuchs. Es gibt Filme auf YouTube, auf denen Gärten in Detroit gezeigt werden, die auf Industriebrachen neu entstehen. Eine ihrer Freundinnen sammelt Rosen auf verlassenen Grundstücken und pflanzt sie in ihren Garten, der nun ein Rosenfriedhof ist.
Am Tag, an dem Shara Worden im Hotel in Berlin auf dem Sofa sitzt und erzählt, wird auf den Sturm Xaver gewartet. Die Stadt hält den Atem an, um das Haus pfeift der Wind.