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Archiv-Artikel

„Schmutziger Krieg“ nicht mehr straffrei

Türkisches Gericht verhängt hohe Haftstrafen gegen zwei Offiziere des Militärgeheimdienstes wegen Anschlags auf einen kurdischen Buchladen. Das Militär kann froh sein, dass die Affäre nicht noch weitere Kreise zieht

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Mit einem Aufsehen erregenden Urteil gegen zwei Geheimdienstoffiziere endete am Montagabend ein Prozess, der die kurdisch bewohnten Gebiete im Südosten der Türkei schwer erregt hatte. Zu jeweils 39,5 Jahren wurden zwei Offiziere des militärischen Geheimdienstes verurteilt, weil das Gericht sie wegen Mordes und der gezielten Anzettelung von Unruhen für schuldig befand. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden Geheimdienstler im November letzten Jahres einen Bombenanschlag auf einen Buchladen in der Kleinstadt Semdinli nahe der iranischen Grenze verübten, bei dem ein Mensch getötet und mehrere schwer verletzt wurden.

Der Buchladen gehörte einem ehemaligen bekannten Anhänger der militanten kurdischen Arbeiterpartei PKK. Der Anschlag sollte offenbar eine Antwort auf vorhergegangene Angriffe der PKK auf Polizei- und Militäreinrichtungen in Semdinli sein. Die Täter wurden, bevor sie flüchten konnten, von aufgebrachten Passanten umzingelt und aus ihrem Fluchtauto gezerrt. Obwohl im Kofferraum des Autos Waffen, detaillierte Karten und Listen mit potenziellen Anschlagzielen gefunden wurden, behaupteten die Geheimdienstoffiziere vor Gericht, nur zufällig da gewesen zu sein und mit dem Anschlag nichts zu tun zu haben.

So unglaubwürdig diese Behauptung von Beginn an war, so spannend war die Frage, auf wessen Befehl das Attentat eigentlich verübt wurde. Handelte es sich um zwei aus dem Ruder gelaufene Agenten, oder war der Bombenangriff ein Indiz für die Rückkehr eines „schmutzigen Krieges“, wie ihn die Türkei Anfang der 90er bereits erlebt hatte und der mit Billigung der Militärführung geführt wurde? Die Antwort, die der zuständige Staatsanwalt in seiner Anklage gab, war eine Sensation. Er beschuldigte den Chef des Heeres, General Büyükanit, als Drahtzieher des Attentats und warf ihm kriminelle Bandenbildung vor.

Die Anklage sorgte für erheblichen Wirbel. Schon bald sickerte aber durch, dass der Staatsanwalt für seine Anklage lediglich auf die Aussage eines Journalisten zurückgreifen konnte, die ihm aus dem Umfeld des Ministerpräsidentenbüros zugespielt worden sein soll. Die Armeeführung schäumte – Büyükanit ist der designierte Nachfolger des jetzigen Generalstabschefs –, und der Staatsanwalt wurde suspendiert. Angeblich war die Anklage ein Versuch, Büyükanit bereits im Vorfeld als Generalstabschef auszuschalten. Das Ergebnis war, dass die Militärführung gestärkt aus dem Konflikt hervorging und die Suche nach den Hintermännern unterblieb.

Dafür wurde der Prozess in nur drei Tagen durchgezogen. Der neue Staatsanwalt hatte jeweils 50 Jahre wegen Mordes und Schürens von Unruhen gefordert. Das Gericht blieb dahinter zurück, folgte aber der Anklage in den wesentlichen Punkten. Das in dieser Höhe bislang einmalige Urteil gegen Geheimdienstoffiziere hat eine klare Botschaft: Einen Rückfall in die schmutzige Kriegsführung wie vor 15 Jahren soll es nicht geben.