: „Männlich, laut und rauh“
Ein Forscher spricht Fußball: Dortmunds neuer Gastprofessor aus Michigan vergleicht weltweite Sportkulturen. Warum Männer und Frauen Bälle und ihre Begleiterscheinungen anders sehen und Amerikaner Fußballer für Weicheier halten
Interview MIRIAM BUNJES
taz: Wie definieren Sie Fußball, Herr Markovits?
Andrei S. Markovits: Fußball ist eine überall vorkommende und hegemoniale Sportsprache und Kultur.
Und das heißt?
Dass Fußball viel mehr ist, als ein paar Leute, die vor den Ball treten. Fußball zieht weitere Kreise, in vielen europäischen und südamerikanischen Länder betrifft er ganze Gesellschaften. Das heißt nicht, dass alle wirklich Fußball spielen. Jetzt zu WM-Zeiten erlebt man minütlich, wie fundamental Fußball ist. Alle reden darüber. Die Serviererin in meinem Düsseldorfer Hotel hat den ganzen Morgen lang mit ihren Kollegen und Gästen darüber diskutiert, ob Brasilien lieber Robinho statt Ronaldo spielen lassen soll. Hegemoniale Sportarten sind wie eine eigene Sprache – sie funktionieren nach bestimmten Regeln und bringen die Menschen ins Gespräch.
Als Fußballforscher erforschen Sie die Fußballsprache?
Ich bin ja nicht nur Fußballforscher, ich erforsche alle hegemonialen Sportarten und mache interkulturelle Vergleiche.
Fußball ist also nicht gleich Fußball.
Nein, Fußball hat in der größten Demokratie der Welt kaum Bedeutung: In Indien ist Kricket die nationale Hegemonial-Sportart. Auch in den USA, der zweitgrößten und älteren Demokratie, ist Fußball nur eine Sportart von vielen. Fußball hat in den USA mehr weibliche Fans als männliche und auch ausschließlich weibliche Stars. Witzig ist, dass sich die Sportsprachen trotzdem gleichen: Beckenbauer sagte am Samstag in einem Fernsehinterview über ein seiner Meinung nach ungerechten Platzverweis eines amerikanischen Spielers : „Fußball ist doch kein Sanatorium, sonst können wir ja gleich Basketball spielen.“ Genauso halten die Amerikaner Fußballspieler für Weicheier. Jedes Auf-dem-Boden-Winden wird als unmännlich verspottet.
Die Sprache des Sportes ist also männlich.
Unbedingt. Alle hegemonialen Sportarten sind männlich, laut und rauh.
Warum?
Weil sie von Männern für Männer kreiert wurden. Sie wurden zum perfekten Kommunikationsmittel zwischen heterosexuellen Männer – vielleicht sogar zum einzigen. Worüber kann ein amerikanischer Professor zwei Stunden lang intensiv mit einem Taxifahrer aus Bombay sprechen? Über Kricket. Das Gleiche gilt für den Londoner Gabelstaplerfahrer – nur dass ich mich mit ihm über Fußball unterhalte. Hegemoniale Sportkulturen verbinden die Männer.
In den Fußballstadien sieht man aber gerade zur WM sehr viele Frauen.
Deutlich mehr als bei Bundesligaspielen. Das ist auch ein Grund, warum es in WM-Stadien deutlich zivilisierter zugeht, als beim Vereinsfußball. In der Gegenwart von Frauen reißen Männer sich zusammen – Frauen sind eben die wichtigsten zivilisatorischen Akteurinnen.
Es gab in Dortmund doch sogar eine Massenschlägerei.
Da sind die männlichen Fans zweier Fußballländer mit einer besonders aggressiven Fußballsprache aufeinandergetroffen. Auch wenn Deutschland gegen Holland spielt oder gegen England kommt es immer leicht zu Schlägereien. An und für sich gilt aber: Je weiblicher der Sport, desto weniger Gewalt gibt es.
Verändert so eine WM die männliche Hegemonial-Sportart?
Darüber forsche ich gerade. Frauen gewinnen tatsächlich zunehmend Raum im Sport. In den USA gibt es inzwischen Sportreporterinnen, deren Einschätzungen und Meinungen wirklich jeder anerkennt. Sie haben ein unglaubliches Fachwissen, ein größeres als ihre männliche Konkurrenz – aber das ist ja oft so, wenn Frauen in Männerdomänen arbeiten. Trotzdem habe ich bei einer Journalistenbefragung festgestellt, dass auch die professionellen Sportfrauen sich anders verhalten als ihre männlichen Kollegen. Sie reden in der Kantine über alles Mögliche, ihre Kollegen weiter nur über Sport.
Und die Fans?
Auch da sind Männer anders als Frauen. Männer sammeln Detailwissen und werfen sich das in einer Art Wettbewerb an den Kopf. „Wer hat 1972 welches Tor geschossen?“ So ein Wissen interessiert Frauen nicht so sehr, vermute ich. Übrigens interessiert das die Sportler auch gar nicht so. Ich habe an meiner Uni in Michigan weibliche und männliche Studenten befragt, von denen je die Hälfte eine Hegemonialsportart betrieb und die andere nicht. An diesem Detailwissen waren ausschließlich die männlichen Nichtsportler interessiert.
Fußball hat ja ganz offensichtlich auch etwas mit Nationalismus zu tun. Überall hängen deutsche Fahnen..
...ich wusste, dass Sie mich darauf ansprechen, die Debatte geistert ja durch den ganzen deutschen Blätterwald, gespickt mit Wörtern wie Neonationalismus und so weiter. Ich finde das übertrieben, aber das liegt wohl an der deutschen Vergangenheit, dass das jetzt so diskutiert werden muss.
Aber woher kommt dieser Patriotismus?
Na ja, es spielt die deutsche Nationalmannschaft und die steht in der Fußballsprache eben für Deutschland – also gehören der anti-patriotischste taz-Leser, der zur deutschen Mannschaft hält, und der Neonazi zum gleichen Team. Mir persönlich gefallen deshalb Vereinsspiele besser, mal abgesehen davon, dass da besserer Fußball gespielt wird. Ich halte die Fahnen trotzdem für harmlos und bin mir sicher, dass sie nach der WM wieder verschwinden. Zugenommen hat der Sport-Nationalismus schon. 1966 hätte es das so nicht gegeben. Wenn ich sehe, wie die Mexikaner ihre Hand an die Brust pressen, finde ich das schon sehr seltsam.