: Unnötig ausgegrenzt
Arbeitnehmerkammer weist Arbeitslosen zurück – kurz bevor das Landesrecht seine Mitgliedschaft ermöglicht
Hartmut Stinton ist „empört“, schreibt er. Jahrelang hatte er einen Job, war Mitglied der Arbeitnehmerkammer, hatte die Kammer-Card in der Schublade und zahlte seine Beiträge. Dann wurde er arbeitslos, jetzt ist er ALG-II-Empfänger. Die Gültigkeit seiner Kammer-Card lief ab, er wollte sie erneuern.
Reine Routine? Denkste. Am 7. Juni bekommt Stinton einen Brief vom Geschäftsführer der Kammer, Hans Endl: „Die Hartz-IV-Gesetze haben dazu geführt, dass Empfänger von ALG II keine Kammerzugehörigen sind.“ Die Bemühungen der Arbeitnehmerkammer, dies durch eine landesrechtliche Regelung zu ändern, seien „gescheitert“, eine Mitgliedschaft daher nicht möglich.
Stinton erinnerte sich gut an Veranstaltungen, auf denen Kammervertreter Unsinn und Ungerechtigkeit von Hartz IV „mit großen Worten angeprangert“ hätten. „Jetzt grenzen sie selbst die Betroffenen aus“. Was Stinton nicht weiß und offenbar der Geschäftsführer der Kammer auch nicht wusste: Am 14. Dezember, also sechs Monate vor dem Brief, haben SPD und CDU einen von den Grünen eingebrachten Antrag zur Veränderung des Kammergesetzes unterschrieben, mit dem gerade die „landesgesetzlichen Regelungen“ verändert werden sollen, die ALG-II-Empfänger ausgrenzen. Anfangs habe es „Bedenken bei SPD und CDU“ gegeben, sagt Dirk Schmidtmann, Sozialpolitiker der Grünen, „dann haben wir eine Formulierung geändert und sie haben unterschrieben“. Anfang Juni stand schon lange fest, dass sich die Rechtslage ändert.
Das muss dem Geschäftsführer der Kammer nach seinem ersten Brief zugetragen worden sein: Nur fünf Tage später schreibt er wieder an Stinton. Allerdings kein Wort der Entschuldigung für die falsche Auskunft, stattdessen eine lange Rechtfertigung: Nicht die Kammer entscheide, ob ALG-II-Empfänger Mitglieder sein dürfen, sondern der Gesetzgeber. „Mittlerweile“, heißt es weiter, hätten „alle Fraktionen eine entsprechende Gesetzesänderung in die Bürgerschaft eingebracht.“ Das Wörtchen „mittlerweile“ soll den Irrtum des ersten Briefes unauffällig korrigieren – der Sachverhalt war eigentlich seit Monaten klar, sogar der Termin für die zweite Lesung des Gesetzes bekannt: Zwei Tage nachdem Stinton den Brief bekam, wurde es verabschiedet. Darüber hat die Kammer Stinton nicht informiert. Stattdessen findet Endl tröstliche Worte in seinem zweiten Brief: „Es entspricht unseren Bemühungen“, heißt es dort, „wenn ALG-II-Empfänger/innen zukünftig Kammerangehörige sein werden“. kawe