: Du bist Schweden!
Nach dem 2:2 gegen England bereiten sich die Schweden bereits auf das Achtelfinale gegen die deutsche Mannschaft vor: Dem DFB-Team droht nun eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit
AUS KÖLN BERND MÜLLENDER
Tobias Linderoth, einer von Schwedens Mittelfeldrennern, guckt verblüfft. Gerade hat sein Team mit dem wild umkämpften 2:2 gegen England das Ziel Gruppensieg verpasst und damit im Achtelfinale statt des vermeintlich leichteren Gegners Ecuador nun die deutschen Gastgeber vor der Nase. Und jetzt stehen da die Reporter und wollen dem Schweden weismachen, dass er und seine Mannen sich auch vor den mächtig geschriebenen Deutschen nicht zu fürchten brauchen. Linderoth grinst: „Da haben Sie Recht. Das können wir uns eigentlich sparen.“
Allerdings möchte man den Schweden auf den ersten Blick nicht viel Freude prophezeien für das Match am Samstag. Der Grund: Ihre erste Halbzeit gegen England war ein schieres Desaster. Die zweite freilich war um einiges stärker, was aber am unerwarteten Ausgleich (51.), den gefährlichen Standardsituationen sowie am Ausfall des bis dahin brillanten englischen Abwehrchefs Rio Ferdinand lag. „Wir haben erbärmlich verteidigt in der zweiten Halbzeit“, wusste der zu sagen.
Das Spiel der Schweden gegen England wurde vom deutschen Fernsehen wann immer möglich „aus deutscher Sicht“ interpretiert, wie der ARD-Mann Delling betonte. Wer wird deutscher Gegner? Und wie spielt der dann? Schweden? Hatte in einer mitreißenden zweiten Halbzeit, jeweils nach Ecken, noch zwei Lattentreffer. England? Hätte es genauso gut werden können. Aber wieso waren die nach 60 Minuten so platt? Wo war ihre gerühmte Kopfballstärke, vor allem bei Standardsituationen? Und viele hätten Michael Owens schwere neue Knieverletzung bei seiner ersten Ballberührung nach 60 Sekunden scheinheilig bedauern müssen – und sich klammheimlich gefreut aus deutscher Sicht.
Viele Aktionen der Schweden waren wenig Achtelfinal-würdig. Ungeschlacht das schwedische Aufbauspiel, ohne Kreativität und Finesse. Mittelfeldspieler Christian Wilhelmsson steht, optisch jedenfalls, stellvertretend für diese Spielweise: Sein langes dünnes Zöpfchen war höchstens vor 15 oder 20 Jahren aktuell. Entsprechend das schwedische Aufbauspiel: aggressiv zwar, aber ohne Ballstafetten, schnell, weit und hoch nach vorne, um das Mittelfeld bloß schnell zu überbrücken. Freddie Ljungberg und Henrik Larsson, die wirbeligen Angreifer, können einem Leid tun: Sie haben in diesem Team kaum fähige Mitspieler.
Der Viererkettenmann rechts, Niclas Alexandersson, ist so was wie der Arne Friedrich Schwedens: Stellungsfehler, Kopfballschwäche, Lethargie, Nervosität. Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger werden es mit Genuss gesehen haben. Durch Alexanderssons Fehler wurde Englands überragender Joe Cole zum „Man of the Match“: Er hatte mit einem fulminanten Sonntagsschuss aus 33 Metern nicht nur das 1:0 erzielt, sondern auch fein Steven Gerrards spätes 2:1 vorbereitet. Cole nach dem Spiel: „Wir haben den Schweden kaum Chancen gelassen, am Spiel teilzunehmen. Aber sie waren stark bei Standards.“
Schwedens Trainer Lars Lagerbäck, ein berüchtigter Bank-Phlegmatiker, stand nach dem 1:1 sogar auf und gestikulierte. Das ist etwa so selten wie vollständige Bausätze bei Ikea. Nachher tat er noch etwas etwas völlig Ungewöhnliches: Er lobte vorausschauend „die solide Abwehr“ des deutschen Teams. Aber was sagt man nicht alles, um sich vorsorglich noch kleiner zu machen, als man ist? Marcus Allbäck prophezeite: „Wir werden die Deutschen piesacken.“ Und zwar mit schwedischer Energie, Unermüdlichkeit und Lauffreude, bis das Sauerstoffzelt ruft – Tugenden, die die deutsche Mannschaft früher besonders auszeichneten.
Und Tobias Linderoth? Der wurde frech: „Wir haben schon ganz gute Ideen gegen Deutschland. Oh ja! Warten Sie mal ab!“ Das sollte selbstbewusst klingen. Verteidiger Teddy Lucic indes nahm sich zurück: „Gegen Deutschland haben wir nichts zu verlieren.“