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Archiv-Artikel

Berliner Platte Geografie als Hilfsmittel der Musik: Persepolis wandert mit „Far From Home“ durch Grenzregionen und Miss Kenichi verschweigt ihre geografischen Wurzeln in „Collison Time“

Miss Kenichi: „Collison Time“ (Kinderzimmer R./Rough Trade), live 29. 6. Postbahnhof, 12. 7. Wide Open. Persepolis: „Far From Home“ (Roach Motel/ Intergroove), live/DJ Namito: 8. 7. Club 23, 15. 7. Polar.tv

Manchmal ist Musik wie Geografie. Wenn einer aus dem Iran stammt, dort die Kindheit verbringt, dann nach Berlin kommt, hier Wendezeit und Techno-Aufbruch erlebt, dann steht am Ende – vielleicht notgedrungen – eine Platte wie „Far From Home“. Das Debütalbum von Persepolis ist ein Grenzgang zwischen den Kontinenten und den Welten, zwischen Asien und Europa, zwischen Dorf und Dancefloor, zwischen Volksmusik und Elektronik.

Hinter Persepolis steckt Namito, einer der Pioniere der Berliner Techno-Szene, Fixpunkt der ersten Love Parades, ab 1994 Resident-DJ im Tresor, seit 1997 dann im Stern Radio, außerdem gefragter Remixer. Auf „Far From Home“ führt er erfolgreich die beiden Welten zusammen, zwischen denen sich seine Biografie bewegt, ohne sich allzu sehr in weltmusikalischer Romantik zu ergehen. Cool tröpfeln die Beats in entspannter Stimmung, wohl kalkuliert und stilsicher programmiert kommen die Breaks daher, mitunter geschmäcklerisch im allgegenwärtigen Downtempo, aber jederzeit geschmackvoll. Der Tanzboden kommt dabei nicht gerade ins Schwitzen, aber verschränkt mit den Harmonien aus Tausendundeinernacht entsteht ein reizvoller Kontrast. Die de:bug hatte eine „Touristenattraktion“ gehört und beschwerte sich über „Schleiertanz-Fernweh-Klischees“. Das kann man so sehen, aber Tracks wie „Harem Shuffle“ gehen durchaus spielerisch, fast ironisch heran an die selbst gestellte Aufgabe, indem sie das persische Erbe mit infantilen Geräuschen kontrastieren.

Manchmal allerdings ist Musik gar nicht wie Geografie. Nun könnte man erzählen, dass Katrin Hahmer aufgewachsen ist im fränkischen Kaff Salz, in der elterlichen Garage ihre erste Band gründete und wieder auflöste, Schauspielerei studiert hat in Ulm, die Malerei in Stuttgart und seit neuestem in Berlin lebt. Ihrer Musik aber wäre man damit kaum näher gekommen. Auch die Information, dass sie bei manchen Auftritten am Bass unterstützt wird von Henrik von Holtum alias Textor, Rapper bei Kinderzimmer Productions, führt ebenso in die Irre wie das biografische Detail, dass ihr Künstlername Miss Kenichi aus einem Manga stammt.

Denn auf ihrem ersten Album „Collison Time“ findet sich weder die süddeutsche Provinz noch Hiphop und schon gar keine japanischen Einflüsse. Eher im Gegenteil, denn Miss Kenichi ist eine geradezu klassische Singer/Songwriter-Platte gelungen: Eine Frau allein mit akustischer Gitarre, nur hin und wieder ergänzt von Schlagzeug, einer Melodica, die von Holtum spielt, oder auch mal einem Klavier. Das ist sehr spartanisch, sehr amerikanisch und ziemlich intim, wenn beim Akkordwechsel die Gitarrensaiten quietschen und Hahmer ihre berückende Stimme erhebt. Auch ihre Themen sind die nachgerade klassischen: die Schmerzen, die die Liebe verursacht, das Hotel, in dem die Zimmermädchen aufregende Geschichten zu erzählen haben, und das Auto, mit dem man ziellos umherfahren kann. Und das hat dann ja doch wieder was mit Geografie zu tun.

THOMAS WINKLER