BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN
: Leckgeschlagen

Schon oft wollte die FDP ihre Themenpalette ausweiten, wenn es ihr schlecht ging. Hat nie funktioniert. Aber sie überlebte trotzdem. Doch im Fünf-Parteien-System wird das schwerer und schwerer

Die Basis ist nicht glücklich. Die Steuerfrage sei nicht die entscheidende Zukunftsfrage für Deutschland, meint ein Delegierter aus Baden-Württemberg. Er findet, dass seine Partei versagt: „Wir, die FDP, holen die Menschen nicht dort ab, wo sie gefangen sind, nämlich in ihren Ängsten.“ Die Selbstachtung der Basis sei schwer strapaziert, sagt Martin Zeil aus Bayern. „Die Bürger haben ein viel feineres Gespür für heiße Luft als manche Politiker.“ Zitate vom Parteitag 1997.

Die taz berichtet über eine Programmdebatte: „Obwohl die FDP-Spitze behauptet, den Kampf um Bürgerrechte wieder mehr in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen zu wollen, lag der Schwerpunkt der Parteitagsrede von Guido Westerwelle auf dem Gebiet der Ökonomie.“ Im Jahr 2005.

Und jetzt, im Juni 2010, treffen sich Partei- und Fraktionsspitze zu einer Klausurtagung. Was dabei herauskommen mag? Die Spannung ist kaum zu ertragen. Erste Hinweise gibt es: Nach Kritik der Basis plant die FDP eine breitere thematische Ausrichtung, um dem Image der Klientelpartei zu entrinnen. Dazu sollen die Themen Soziales, Bildung und Ökologie sowie bürgerliche Freiheitsrechte gehören. Außerdem wird eine Kommission berufen werden, die ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten soll.

Und täglich grüßt das Murmeltier.

Entgegen einer weit verbreiteten Einschätzung ist seit langem auf die FDP durchaus Verlass. Weltreiche gehen unter, andere entstehen, die Apokalypse droht – aber die FDP verspricht unverdrossen einen neuen Kurs und hält den alten. Was unter anderem daran liegt, dass die genannten Themen von anderen besetzt sind. Außerdem war dieser alte Kurs ja lange erfolgreich. Aber es ist fraglich, ob das so bleibt.

Der Versuch, an die netten alten Zeiten anzuknüpfen, in denen die sogenannten Liberalen das Zünglein an der Waage spielen durften, ist in Nordrhein-Westfalen gerade gescheitert. In einem Fünf-Parteien-System wird die FDP nicht mehr so umworben. Wer würde sie eigentlich vermissen? Alle Parteien binden bestimmte Milieus, die ihnen glauben, dass sie ihre wichtigsten Ziele wenigstens teilweise durchsetzen können. Gewiss: Auch die Grünen beteiligen sich an den innenpolitischen Diskussionen seit längerem nicht mit Beiträgen, die im Gedächtnis bleiben. Aber ihr Jahrhundertthema Umweltschutz sorgt dafür, dass sie gar nichts selbst zu tun brauchen, um für wichtig gehalten zu werden. Eine Ölkatastrophe im Golf von Mexiko genügt.

Auf solche Krisengewinne kann die FDP nicht bauen. Wenn Apotheker oder Unternehmensberaterinnen die Erfolge nicht konkret berechnen können, wenden sie sich ab. In einem Fünf-Parteien-System ist es für Kleine schwer, einen großen Sieg zu erringen. Wenn die FDP versinkt, dann wäre es am Ende die Linke gewesen, die das Boot leckgeschlagen hätte.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: Amélie Losier