Perfektion in Blauweiß

Selbst mit einer B-Elf und durch ein vergleichsweise unspektakuläres 0:0 gegen Holland festigt Argentinien seine Stellung als Favorit auf den WM-Titel. Sogar der Gegner zeigt sich begeistert

AUS FRANKFURTBERND MÜLLENDER

Auf dem VIP-Parkplatz war ein protziges Fifa-Sponsorenauto geparkt mit dem netten Aufkleber „No Tickets inside“. Eine hilfreiche Warnung an Diebe war das, gleichzeitig ein zynischer Willkommensgruß an die unzähligen Fans, die so leidenschaftlich gern dabei gewesen wären. Auch wenn es bei dieser Auflage des Klassikers Argentinien–Holland nur um die Platzierung in der Gruppe ging und beidseitig halbe Reserveteams aufliefen, war eine zuvor nicht gesehene Zahl an Menschen den ganzen Tag über mit Schildern „I need tickets“ unterwegs gewesen.

Gleichzeitig schlenderte eine besonders große Herde von Schlipsträgern im Stadion umher, als wäre Vorstandssitzung aller DAX-Konzerne gleichzeitig. Die derzeitige Ersatzwährung WM-Karten ist der große Türöffner der Businesswelt. Auch die Fifa konnte zufrieden sein: Sie ließ das nächste ausverkaufte Stadion melden – obwohl hunderte VIP-Plätze schändlich leer geblieben waren. Und auch für die Hamburg-Mannheimer läuft die WM perfekt. Aus dem Farbklecksbrei der Fifa-Bandenreklamen stach am Mittwochabend ebenjene der Versicherung heraus. Ihr Logo hat exakt die Farben Argentiniens: Blassblau, Hellblau und Weiß.

In diesen Farben lief gegen die Niederlande zwar nur eine B-Elf auf, um keine Verletzungen und Gelb-Sperren zu riskieren, aber auch die bot wieder einmal eine große Show – zumindest 70 Minuten lang. Im Zweikampf haben alle die Wendigkeit von Schlangen. Mit jeder Grätsche ist gleichzeitig ein neuer verwirrender Spielzug eröffnet. Eleganz und Giftigkeit gehen unbekannte Koalitionen ein. Lässig zeigte das fein justierte Teamgebilde, dass man gute Gegner auch bei deren Ballbesitz zeitweilig über den Platz jagen kann wie Hasen.

Juan Riquelme, der Stratege im Mittelfeld, hätte das Zeug zum ganz großen WM-Überflieger, wenn er, als Gegenentwurf zu gehypten Stars wie Ronaldinho oder Rooney, nicht so bescheiden und unscheinbar wäre. Und die Reservisten vorne? Tevez und Messi wirkten noch spektakulärer als die bisherigen Angreifer Saviola und Crespo. Messi, der 18-Jährige, trug Schuhe mit der Aufschrift „La Mano de Dios“, was „Die Hand Gottes“ bedeutet. Maradona, das Original, kasperte am 20. Jahrestag seines Handtores gegen England wieder auf der Tribüne herum.

70 Minuten lang war es ein viel mitreißenderes Spiel, als viele Fernsehzuschauer einem nachher erzählen wollten. Holland war, obwohl ebenfalls ohne fünf gelb gefährdete Stammkräfte sichtlich unterlegen, defensiv ein starker Gegner. Dass sie am Ende etwas aufkamen und sogar zwei halbe Torchancen hatten, löste bei Rafael van der Vaart gleich „ziemlich viel Mut für das weitere Turnier“ aus. Ruud van Nistelrooj ergänzte: „Wir sind eine Mannschaft, die schwierig zu schlagen ist“, auch wenn die nötige Defensivkunst, fügte der von den Bayern Umgarnte hinzu, „nicht typisch für Holland ist“. Die Süddeutsche Zeitung erfand den Begriff „Ballwerk Orange“.

Die Übermannschaft Argentinien ist der Über-Überlebende der „Todesgruppe C“, für Hollands Bondscoach Marco van Basten „ein sensationelles Team“, sein Spieler Hedwiges Maduro nannte sie „schlicht Weltklasse“. Schiere Bewunderung lag in den Augen des geschonten Arjen van Robben, als der in den Schlussminuten einmal sekundenlang zur ekstatischen Fankurve der Argentinier hochschaute.

Denn auch die agieren weltmeisterlich. Hüpfen, singen, winken, skandieren („O Argentina, wir lieben dich immer mehr“) – alles zusammen in einer für europäische Ohren eigenwillig sperrigen Rhythmik und gleichzeitig ein Spiegel der argentinischen Spielweise mit ihren schnellen Defensiv-Attacken und dem harmonischen Spielfluss. „Ohne Holland fahrn wir nach Berlin“, versuchten die deutschen Restzuschauer voll naiver Finalvorfreude die orangene Stadionmehrheit zu ärgern. Die Hauptstadtfahrt kann durchaus kommen. Allerdings schon zum Viertelfinale. Da stünde das Match gegen Argentinien an.