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Archiv-Artikel

90 minuten mit … dem schriftsteller und vfl-bochum-fan frank goosen

Warum schreien die ständig „Schwytzer Nazi“? Sehr irritierend, diese WM

In der Kantine des Frankfurter Eichborn Verlags läuft Portugal – Mexiko auf Großbildleinwand. Luis Figo hängt hinten etwas aus der Hose. „Was ist das denn?“, fragt einer. „Sicher das Preisschild. Der sucht ’nen neuen Club.“ – „Wie der spielt, liegt er bald auf dem Wühltisch.“ So redet man hier. Und findet aber auch Zeit für medienpatriotische Argumente pro DFB-Elf. „Jedes Tor ist eine Ohrfeige für die Bild-Zeitung nach der Grinsi-Klinsi-Kampagne“, sagt ein Lektor.

Als Gast heute mit dabei ist der Schriftsteller und Kabarettist Frank Goosen, 40, Eichborn-Autor aus dem Ruhrgebiet. Goosen hat den Erfolgsroman „Liegen lernen“ geschrieben und die Fußballanthologie „Fritz Walter, Kaiser Franz und wir“ herausgegeben. Jetzt ist Goosen WM-Spielesammler. Er will möglichst viele Spiele live sehen. Er ist WM-Groundhopper, der unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten ins Stadion sammelt.

„Es gibt viele Wege jenseits des offiziellen Fifa-Denkens.“ Das Ganze sei „ein großer Spaß“, der vielleicht „zu einem WM-Tagebuch“ werden soll. Der TV-Treff im Eichborn-Stadion ist Vorspiel, abends geht es zu Holland – Argentinien ins Waldstadion. Die Karte hat er über einen Verlag bekommen, als Honorarersatz.

Goosen hat Tickets über www.ticketstrike.com ergattert, einen Londoner Kartenversteigerer, bei dem man das Geld nach Estland überweisen musste – „ziemlich strange“. Ein Ebay-Spiel ist längst weggeguckt, demnächst will Goosen den Stadion-Schwarzmarkt versuchen und dann die Restkartenbörse der Fifa. „Mit Kumpels beim Gelsenkirchener Viertelfinale nachts zum Ticket-Center mit Campingtisch und Doppelkopfspielen. Da geht immer was, wenn man morgens der Erste ist.“

Goosen ist VfL-Bochum-Fan, lebenslang, leidenschaftlich. Das prägt auch eine Banalität wie die WM. Gerade versiebt Mexikos Bravo die nächste Chance. „Als Bochumer müsste ich den Edu nennen, was der vergibt.“ Ein grausamer Fehlpass, spontan folgt: „Walter Oswald lebt!“ Portugal schwankt. „Kenn ich“, sagt Goosen, „als VfL-Fan ist Angst mein zweiter Vorname.“ Plötzlich: „Oh, da! Koller!“ Goosen strahlt. Marcel Koller meint er, den Trainer des VfL, der gerade auf der Tribüne eingeblendet wird. Ein Geschenk der Regie.

„Mexiko ist nur bis zum Strafraum stark“, analysiert einer. „So sind wir auch.“ Wer wir? „Wir“, doziert Goosen mit plötzlichem Kohlenpottidiom, „is immer VfL Bochum“. Das Schöne am guten alten Clubfußball. Da gibt es auch keine nervenden Patriotismusdebatten um rauschhaften Fahnengebrauch. Und nicht all „das unglaublich absurde Drumherum bei den WM-Spielen“. Frank Goosen erzählt von Kindern, denen Ordnungskräfte die Mützen wegnehmen wollten, weil ein kleines Logo drauf war.

Und im Dortmunder Stadion hat es ihn „sehr irritiert“, dass die Schweizer Fans immer „Schwytzer Nazi“ gebrüllt hätten. Er wisse, dass es Nati hieße, Nationalmannschaft. Aber im Chor klinge es eben wie Nazi. „Das war schon befremdend.“

BERND MÜLLENDER