Tränen auf fettiger Gesichtshaut

THRILLER Die ARD zeigt ein krudes Genre-Potpourri mit Stefanie Stappenbeck („Ohne Dich“, 20.15 Uhr, ARD). Der „Tatort“-erprobte Regisseur Florian Baxmeyer hätte es besser wissen müssen. Stappenbeck auch

Ein Film dieses Kalibers verträgt natürlich nichts anderes als ein Happy End

VON JENS MÜLLER

„Ohne dich“ war 1994 die dritte Single-Auskopplung aus dem Debütalbum der Band Selig. Heute Abend zeigt die ARD einen Film mit dem Titel „Ohne Dich“. Beide Werke sind von höchst unterschiedlicher Qualität und haben nichts weiter gemein als den vage Verlustgefühle evozierenden Titel. Aber so ist das nun mal mit den Synapsen: Das genügt schon, um jetzt beim Filmgucken ständig den 20 Jahre alten Liedtext im Ohr zu haben. Der Film ist leider nicht geeignet, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Oder, mit den Worten von Selig: „Langeweile besäuft sich meilenweit / Ich zähl die Ringe an meiner Hand / Dort draußen alles dreht sich still um nichts herum.“

Es geht in dem ARD-Film los wie sonntags im ZDF, wenn das Zweite gegen den „Tatort“ Rosamunde Pilcher in Stellung bringt: Wunderschöne malerische Steilküste am Atlantik – die Bretagne sieht hier auch nicht anders aus als sonst Cornwall –, wunderschönes blondes Pärchen, alles ganz toll in Szene gesetzt. So romantisch. Aber ach, der wunderschöne blonde Mann (Andreas Pietschmann) hinterlässt seiner Liebsten eines Tages einen Zettel – „Bin mit dem Boot raus. Bringe Fisch zum Mittagessen. Ich liebe dich. R.“ – und ward nicht mehr gesehen. Die Suche der Polizei nach Ralf verläuft ergebnislos. Die Frau, Martina, klammert sich fortan an den Gedanken, dass Ralf noch lebt.

Die Konstellation kennt man aus François Ozons „Unter dem Sand“. Ozon ist ein großer Kinomeister, der behände zwischen den Genres spaziert und dabei immer wieder großartige Charakterstudien zu Wege bringt. Letztere mit den schmierigen Konventionen einer Degeto-Schmonzette zu versöhnen, einer Produktion der Filmeinkaufsorganisation der ARD also, das wäre die eierlegende Wollmilchsau und war deshalb für Regisseur Florian Baxmeyer eine Aufgabe, die er von vornherein nicht lösen konnte. Die ARD annonciert das Machwerk übrigens als „romantischen Thriller“ und behauptet „bis zum Schluss eine Atmosphäre steter Ungewissheit“.

Wer darauf tatsächlich zu hoffen wagt, muss jetzt aufhören zu lesen, sonst erfährt er, was außer ihm und den Autoren von ARD-Pressemappen jeder weiß: Ein Film dieses Kalibers verträgt nichts anderes als ein Happy End irgendwo zwischen der 85. und 90. Minute.

Anders als Charlotte Rampling bei Ozon liegt Stefanie Stappenbeck (aka Martina) mit ihrer Intuition goldrichtig – und weil die Liebe so groß ist, dass das von Freundin, Mutter (Renate Krößner) und aufdringlichem Verehrer (Oliver Mommsen) runtergeleierte Mantra vom Endlich-loslassen-müssen an ihr abperlt wie Tränen auf fettiger Gesichtshaut, werden die Liebenden sich am Ende wieder vereinen, wird Ralf am nächtlichen Strand, unter dem wohligen Schein des Leuchtturmscheinwerfers, in Martina eindringen.

Aber der Film soll ja nicht nur romantisch sein, sondern auch noch ein Thriller. Deshalb gibt bei Minute 84 ein Junge auf einem Fahrrad Martina einen Brief. In dem Brief erklärt Ralf sein plötzliches Verschwinden mit mafiösen Verstrickungen in der Vergangenheit und seiner Sorge um das leibliche Wohl der Liebsten. Man müsste schon Hitchcock heißen, um dem Zuschauer einen so plumpen MacGuffin unterjubeln zu dürfen, noch dazu rückwirkend (Buch: Ulli Stephan) – einen Gegenstand also, der die Handlung vorantreibt, in diesem Fall der Brief.

Dabei sollte der Radio-Bremen-„Tatort“-erprobte Baxmeyer es eigentlich besser wissen. Und Stefanie Stappenbeck auch, die immerhin einmal drei Folgen lang als wirklich sehr vielversprechende „Polizeiruf“-Kommissarin unterwegs war.

„Ich gab dir meine Liebe, gab dir Zeit, Geduld und …“ Und jetzt das! „Ich find es widerlich, ich will das nicht“, heißt es bei Selig in „Ohne Dich“.