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Archiv-Artikel

Bedauerliches Chaos

Der Balkankenner Wolfgang Petrisch hält sich in seinem Buch über das Kosovo leider viel zu sehr mit Einschätzungen zurück

Auch das dritte Kosovo-Buch von Wolfgang Petritsch und Robert Pichler ist eher ein Sammelband als eine zusammenhängende Arbeit. Für interessierte Leserinnen und Leser mindert das den Wert des Paperbacks nicht. Im Gegenteil: Die 400 Seiten lohnen schon aufgrund der vielen Originaldokumente aus dem Archiv Petritschs.

Vor allem aber ist „Kosovo-Kosova“ aufgrund des Hintergrunds der Autoren ein Muss: Wolfgang Petritsch ist österreichischer UN-Botschafter und war zuvor Wiens Vertreter in Belgrad, EU-Chefdiplomat in den Kosovo-Friedensgesprächen und Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina. Robert Pichler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Südosteuropäische Geschichte an der Universität in Graz und Mitglied des Centre for the Study of Balkan Society and Cultures (CSBSC). An einer Publikation zweier solcher Schwergewichte kommt der Fachmensch eigentlich nicht vorbei.

Normalsterblichen dagegen muss von der Anschaffung des dritten Buchs von Petritisch und Pichler abgeraten werden. Leser, die sich „nur“ mehr als einen Überblick über den Konflikt um das Amselfeld verschaffen wollen, werden ihre liebe Not mit dem Buch haben. „Kosovo-Kosova“ wimmelt von zeitlichen Sprüngen, Wiederholungen, Querverbindungen und unvermittelt auftauchenden Reflexionen der Autoren zu verschiedenen Ereignissen und Problemfeldern.

All dies ist angesichts des komplexen Themas durchaus verständlich. Aber ein bisschen mehr Konzept und viel mehr redaktionelle Sorgfalt hätten dem Werk nichtsdestotrotz durchaus gut getan. Für alle potenziellen Leser gleichmäßig ärgerlich ist, dass man trotz der zahlreichen reflektierenden Textabschnitte Einschätzungen und Meinungsäußerungen der Autoren mit der Lupe suchen muss. Das gilt vor allem für Kritik an der internationalen Politik im ehemaligen Jugoslawien im Allgemeinen und in Kosovo im Speziellen.

Es stört nicht nur, wenn die Autoren von „Kosovo-Kosova“ immer wieder andeuten, dass sie die eine oder andere taktische, strategische oder politische Wendung in der Politik bedauerlich finden; es schmälert den Nutzen des Buchs erheblich. Schließlich liegt auf der Hand, dass ein Kosovo-Buch aus der Feder eines hohen Diplomaten, der selbst in mehreren Positionen am Konflikt um die bis heute nominell serbische Provinz beteiligt war und ist, vor allem deshalb gelesen wird, weil dessen Meinung interessiert. Das Gleiche gilt – wenn auch vermindert – auch für den Wissenschaftler Pichler.

Sehr erfreulich ist dagegen der neunzigseitige Beitrag von Martin Prochazka, Mitarbeiter an der Abteilung für Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz. Das Kapital ist das interessanteste des ganzen Buchs. Souverän zeichnet der Autor die Ereignisse vom Beginn der Luftangriffe der Nato bis zum „Vorabend der Statusverhandlungen“ im vergangenen Jahr nach. Nach der Lektüre bleiben keine Fragen offen. Das kann man vom Rest des Buchs nicht unbedingt behaupten.

RÜDIGER ROSSIG

Wolfgang Petritsch, Robert Pichler: „Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum Frieden“. Mit einem Beitrag von Martin Prochazka. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage, Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2005, 411 Seiten, 25 Euro