Wildschweinkeule 2.0

LUMPEN Mit dem Zweiteiler „Die Pilgerin“ (5. und 6. Januar, 20.15 Uhr) wollte das ZDF an den Erfolg der „Wanderhure“ anknüpfen und einen neuen, realistischeren Blick auf das Mittelalter wagen. Am Ende kamen doch nur drei Stunden Langeweile heraus

„Die Pilgerin“ ist weniger trashig geraten, als zu befürchten war, und setzt im Unterschied zur „Wanderhure“ nicht auf Dauer-Brünftigkeit und prall gefüllte Dekolletés

VON SVEN SAKOWITZ

Wenn ständig Kerzenlicht flackert, alle Menschen in Lumpen gehüllt sind, feiste Kerle gierig in Wildschweinkeulen beißen und mit Wein aus Silberkelchen nachspülen – dann ist im Fernsehen wieder Mittelalterzeit. Auch im ZDF-Zweiteiler „Die Pilgerin“ ist das so, doch möchte man beim Sender, dass die Produktion von der Öffentlichkeit als etwas ganz Besonderes wahrgenommen wird. „Das ist ein TV-Event 2.0, wir setzen damit völlig neue Standards“, sagt die verantwortliche Redaktionsleiterin Heike Hempel.

Die 6 Millionen Euro teure Produktion basiert auf einem Roman des Ehepaares Iny Klocke und Elmar Wohlrath, das seit Jahren unter dem Namen Iny Lorentz und weiteren Pseudonymen seine sogenannten historischen Romane erfolgreich auf den Markt wirft. Die Geschichten haben fast immer das gleiche Grundprinzip: Es gibt eine unterdrückte Frau, die ihrer Zeit weit voraus ist, irgendetwas gegen alle Widerstände durchsetzt und dabei eine Art von Freiheit erlangt. 600 Seiten Geschwurbel dazu – fertig.

Dass sich auch ein großes Fernsehpublikum für diese Stoffe begeistern kann, erlebte Sat.1 im Oktober 2010, als fast 10 Millionen Zuschauer den TV-Film „Die Wanderhure“ mit Alexandra Neldel einschalteten. Es gab zwei Fortsetzungen, die dann zwar nicht mehr ganz so überragende, aber immer noch annehmbare Quoten erzielten.

Das ZDF erzählt jetzt die Geschichte der jungen Kaufmannstochter Tilla Willinger (Josefine Preuß), die im 14. Jahrhundert in der fiktiven Reichsstadt Tremmlingen lebt. Als ihr Vater stirbt, zwingt ihr Bruder Otfried (Volker Bruch) sie zur Hochzeit mit dem Widerling Veit Gürtler (Dietmar Bär). Otfried ignoriert außerdem den letzten Willen ihres Vaters, der sein Herz in Santiago de Compostela beigesetzt haben wollte.

Da gibt es nur eins: Tilla schneidet sich die langen Haare ab, gibt sich als Junge aus und schließt sich mitsamt dem väterlichen Herzen einer Pilgergruppe an. Gleich zwei Verfolger wollen sie zurückholen und sind ihr dicht auf den Fersen. Währenddessen versucht Otfried, den Bürgermeister (Friedrich von Thun) mit Intrigen aus dem Amt zu jagen und dessen Posten zu übernehmen.

„Es ist nicht nur wichtig, was man erzählt, sondern auch, wie man es erzählt“, sagt Heike Hempel. „Wir stellen das Mittelalter nicht romantisch-verklärt dar, sondern zeigen es realistisch und in seiner ganzen Härte – mit enormer Opulenz, Dramatik und Authentizität. Das unterscheidet sich von dem, was bislang im Fernsehen über diese Epoche zu sehen war.“

Regisseur war Philipp Kadelbach, der seit seinem Fernsehpreis-prämierten Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ so etwas wie der Shootingstar der Branche ist. „Philipp Kadelbach kommt ja aus der Werbung, und auf eine positive Art merkt man das immer noch“, sagt Hempel. „Er setzt in jeder einzelnen Szene auf Wirkung, bleibt immer dicht an den Figuren und inszeniert ungemein bildstark.“ Die Verantwortlichen für Szenenbild, Kostüm, Maske und Casting bei „Die Pilgerin“ waren ebenfalls bei „Unsere Mütter, unsere Väter“ dabei – sie alle wurden 2013 für ihre Arbeit an dem erfolgreichen Mehrteiler von der Deutschen Akademie für Fernsehen ausgezeichnet. Kameramann war in beiden Produktionen der erfahrene David Slama. Immerhin: Dieses handwerklich talentierte Team kann mit einem Mittelalter-Film glücklicherweise nicht so viel Schaden anrichten wie mit einem reaktionären Weltkriegs-Film, in dem es mal wieder außer Hitler keine Nazis gab.

„Die Pilgerin“ ist weitaus weniger trashig geraten, als zu befürchten war, und setzt im Unterschied zur „Wanderhure“-Trilogie nicht auf Dauer-Brünftigkeit und prall gefüllte Dekolletés. Es geht eher zugeknöpft zu, schließlich ist die weibliche Hauptfigur ja als Junge getarnt unterwegs (auch wenn man sich fragt, wie überhaupt nur irgendjemand auf diese wenig überzeugende „Verkleidung“ hereinfallen kann). Das reicht aber natürlich nicht, um aus diesem Abenteuerfilm die versprochene Fernsehsensation zu machen. Über weite Strecken ist er einfach nur unglaublich öde und vorhersehbar, die versprochene besondere Härte lässt sich nirgends ausmachen.

Trotz einiger gelungener Sets wirkt die Szenerie insgesamt recht künstlich. Es gibt ein paar wirklich spektakuläre Kampfszenen, bei denen sich Regisseur, Kameramann und Darsteller austoben durften. Umso mehr schmerzen im Anschluss daran das langsame Tempo und die Geschichte, erzählt nach Schema F.

Zusätzlich ermüdend wirken die Schauplätze, die sich im Laufe der Pilgerreise kaum verändern – egal, ob die Pilger nun im Schwäbischen oder in den Pyrenäen unterwegs sind. Gedreht wurde ausschließlich in Tschechien, und nach drei Stunden Sendezeit kommt es einem so vor, als wären die meisten Szenen an ein und demselben Bach entstanden. Pilgerreisen-Atmosphäre kommt so nicht auf.

„Eine fadere Truppe hättest du nicht finden können“, sagt der Pilger Ambros (Roeland Wiesnekker) am Anfang des Weges zu Tilla – und zum Leidwesen der Zuschauer kann man das als Warnung verstehen, mit der er auf fast allen Ebenen recht behält.