: Von Zeh bis Ohrläppchen
ÜBERS WASSER Eigentlich war sie eine Art Abfallprodukt, diese neue Sportart, so neu, dass ihr Name noch nicht mal so richtig feststeht: Paddeln auf Surfbrettern, im Stehen. Die taz traf Stand-up-Paddler Rick Jensen
VON ROGER REPPLINGER
„Batsch!“ macht das Brett, als es aufs Wasser klatscht. Etwa so, wie wenn sich mit der flachen Hand auf den Wanst haut. Bis es „batsch!“ macht, dauert es aber: Erstmal nämlich ist Rick Jensen im Auto sitzen geblieben. Für Juni ist es an diesem Tag noch ziemlich frisch.
Später, als er ein wenig Kaffee getankt hat, hievt er das Board vom Dach seines Autos. Jensen würde seinen Neoprenanzug anziehen, wenn der nicht nass wäre. Noch ekliger als das Wetter, so ein feuchter Neo. „Also Shorts“, sagt Jensen. Er ist 22, in Lutzhorn, Kreis Pinneberg, geboren, studiert in Kiel Maschinenbau und ist Kitesurf-Profi.
Ein paar Wochen früher: Auf der Hamburger Alster sind merkwürdige Leute bei noch merkwürdigerem Treiben zu sehen: Bewegen sich aufrecht stehend übers Wasser. Was Menschen, nach allgemeinem Dafürhalten, doch nur alle 2.000 Jahre hinkriegen. Und dann doch auch eigentlich in einem ganz anderen Winkel der Welt: am See Genezareth.
Die auf dem hansestädtischen Binnengewässer gehen aber auch gar nicht, sie paddeln. Im Stehen. Neue Sportart: Stand up paddeln oder Stand-up paddling – nicht mal die Schreibweise ist verbindlich, so neu ist das alles. Nur eine Abkürzung, äh, steht schon: SUP. Erfunden worden ist das ganze auf Hawaii, wo Surflehrer, um ihre Schüler besser beobachten zu können, auf ihre Bretter stiegen – und dann ein Paddel brauchten, um sich fortzubewegen. Die Surflehrer merkten auch, dass man, wenn man im Stehen paddelt, mehr von der herankommenden Welle sieht und den richtigen Moment besser erwischt.
Und noch andere Vorteile kann so ein Paddel haben: „Wie ich so am Surfen war“, erzählt Rick Jensen über einen Hawaii-Aufenthalt, „habe ich völlig vergessen, dass da überall Riffs sind, und eine Welle hätte mich glatt auf so ein Riff geworfen. Da hab ich instinktiv das Paddel hoch gerissen und kam ohne Blessuren davon.“ In Hamburg, an der Alster, gibt es keine Wellen wie auf Hawaii. Hier wird SUP, wie fast überall auf der Welt außer auf Hawaii, in flachen Gewässern betrieben. Auch von Rick Jensen. SUP macht er mindestens zwei, drei Mal pro Woche. „Zuletzt hab ich meine Freundin auf ein Brett gestellt und sie ist nicht ins Wasser gefallen“, sagt er. Jensen und seine Freundin sind zusammen gepaddelt, das geht nämlich auch sehr relaxed.
Zuerst erkannt hat das Potenzial der anfänglichen Surflehrer-Methode ein Mann namens Robby Naish, der zuvor schon an der Entwicklung von Wellenreiten und Kitesurfen maßgeblich beteiligt war. Inzwischen gibt es eigene SUP-Bretter und -Paddel. Und Wettbewerbe – die Kurzdistanz beträgt einen Kilometer, bei der Langdistanz paddeln die Amateure fünf, die Profis zehn Kilometer. Profis schaffen den Sprint in vier, die Langdistanz in 50 Minuten. „Weltweit“, sagt Jensen, „wird SUP immer größer.“ Es gibt Wettbewerbe vor Kapstadt, auf Hawaii, in Ägypten. „Venedig“, sagt Jensen, „auf den Kanälen, das wäre ein Traum.“ Erstmal tritt Jensen aber in der Hamburger Hafencity an: ab dem 27. August beim SUP-World Cup.
Vergangenes Jahr waren in Hamburg 40 Profis am Start – darunter fünf Deutsche, die meisten davon Kitesurfer – sowie 100 Amateure. Jensen kam ins Finale über die Sprintdistanz. „Ist ein guter Ausgleich zum Kiten, und anstrengender als man so denkt“, sagt Jensen, der sich beim Kitesurfen vor ein paar Monaten einen Kreuzbandriss im linken Knie geholt hat. Der ganze Körper macht mit, „vom kleinen Zeh bis zu den Ohrläppchen“: Der Oberkörper paddelt, der Rest hält das Gleichgewicht. „Ein bisschen wie Joggen“, findet Jensen.
Die SUP-Boards sind riesig: drei bis dreieinhalb Meter lang, ziemlich breit und zehn Kilo schwer. Das flexible Stechpaddel ist zwei Meter lang. Mit den Maßen muss man erst mal zurecht kommen. Kosten für Menschen, die ihre Ausrüstung – anders als Jensen – kaufen müssen: 1.000 Euro aufwärts.
Als Jensen ein bisschen auf der Alster paddelt, bläst er die Backen auf, weil ihm die Böen zu schaffen machen. Er holt sein Brett aus dem Wasser und bringt es zum Auto zurück. Und wird prompt angesprochen. „Heute wäre ein Segel aber besser“, sagt eine Frau. Gestern, in Kiel, hat ihn ein Drachenbootfahrer gefragt: „Warum im Stehen und so langsam?“ Das Stehen, hat ihm Jensen erklärt, sei doch gerade das Gute daran: „Ich seh’ viel mehr als du.“