: Noch lange keine HipHop-Rente
KONZERT Dead Prez schrieb mit „Its bigger than HipHop“ einst die Hymne eines ganzen Genres. Doch auf den Lorbeeren ausruhen steht nicht zur Debatte: Sie haben noch viel Wut im Bauch
Manche Bands haben genau ein Lied, auf das alle einen Konzertabend lang warten. Stundenlang warten, denn Dead Prez lässt sich Zeit. Nach Fußballübertragungen und einigen Vorbands hilft nur noch ein Host, der unermüdlich schwitzende HipHop-Fans zu Yeah-Rufen animiert. Um 2 Uhr morgens schließlich kommen die New Yorker Rapper auf die Bühne. Müde, aber souverän rappen M-1 und stic.man Klassiker aus Zeiten, in denen HipHop noch politisch war, neue Lieder mit mehr Soul, ziehen ihr Programm durch, sprechen wenig mit dem Publikum. Dass Berlin der letzte Stopp ihrer Europatour ist, ist an den Augenringen zu erkennen.
Und dann ertönt es schließlich, das sehnsüchtig erwartete Bassgewummer. Kameras werden in Position gebracht, sämtliche linke Hände in der Konzerthalle des Yaam gehen in die Luft, bewegen sich im Takt, die Menge schiebt sich von links nach rechts, springt zum Lied: „If I feel it I feel it, if I don’t, I don’t / If it aint really real then I probably won’t“. Jeder kennt den Text, beim Chorus schreien 500 Leute mit: „Hip Hop – Hip Hop“. Vorbands und DJs erscheinen wieder auf der Bühne, um das Spektakel zu sehen. Von da an beginnt die Show.
M-1 und stic.man könnten sich darauf ausruhen, mit „Its bigger than HipHop“ die Hymne einer weltweiten Bewegung geschrieben zu haben, könnten wie viele Kollegen in schöpferische HipHop-Rente gehen. Doch sie haben noch zu viel zu sagen, zu viel Zorn im Bauch. Das neue Album ist für Ende des Jahres versprochen, bis dahin gibt es ein Mixtape, „Revolutionary but Gangsta Grillz“, auf der hauseigenen Webpage kostenlos herunterzuladen. Die neuen Lieder haben die Energie der „Lets get free“-Tage, die Message der Band bleibt unverändert: Wo ist die Black History, wer ist schuld an unserem verkorksten Schulsystem, warum werden Schwarze in den USA noch immer als Menschen zweiter Klasse behandelt? Jedes Mal wenn stic.man das Mikrofon ansetzt, legt sich seine Stirn in Falten – in jedem Wort, jeder Handbewegung steckt geballte Wut.
Die beiden Rapper verstehen sich vor allem als Anhänger des Bürgerrechtlers Malcom X. Dead Prez zählt zur radikal politischen HipHop-Bewegung, deren Ursprung mitunter Public Enemy ist. So fordern sie immer wieder die „Black proud boys“ auf, sich zu erkennen zu geben, rufen abwechselnd mit dem Publikum „Fick die Polizei“. Doch trotz des goldenen Gewehrs, das um stic.mans Hals baumelt, wirken Dead Prez altersmilder: Forderten sie vor zehn Jahren in „They Schools“ noch dazu auf, nicht an die Lügen der weißen Lehrer zu glauben, stattdessen zu revoltieren, singen sie heute in „The Beauty within“ von wahrer Schönheit, die sich nicht über die Hautfarbe definiert.
Dennoch hat das Konzert nicht nur eine gesellschaftskritische Note. M-1 gratuliert zum Erreichen des Halbfinales, die Rapper bringen A-capella-Einlagen und bedienen sich einiger Oldschool-HipHop-Tricks wie „All the ladies in the house say yeah“-Aufforderungen, um trotz erkennbarer Erschöpfung mit dem Publikum zu spielen.
Der Abgang ist unspektakulär, eine Zugabe, eine kurze Verabschiedung, weg. Doch egal, man war dabei, als Dead Prez „It’s bigger than HipHop“ performte.
MARIA ROSSBAUER