: „Der Autonomiegedanke ist völlig abwegig“
Armbänder sind ein geeignetes Mittel, um die Sicherheit von Demenzkranken zu gewährleisten, sagt Jochen Wagner vom Alzheimerforum. Denn schließlich nehme man auch bei Kindern Einschränkung der Autonomie in Kauf
taz: Herr Wagner, wird in den Krankenhäusern genug für die Sicherheit der Demenzkranken getan?
Jochen Wagner: Leider nein. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass es wiederholt zu eklatanten Pannen gekommen ist. Die schwerwiegenden Mängel haben fatale Folgen, wie der Tod eines demenzkranken Patienten im Vivantes-Klinikum Neukölln vor zwei Wochen gezeigt hat.
Könnten elektronische Armbänder die Sicherheit erhöhen?
Grundsätzlich halte ich technische Lösungen – zum Beispiel in Form von Armbändern – für ein geeignetes Mittel. Die Gefahr ist freilich, dass Demenzkranke dadurch kenntlich gemacht würden. Das könnte zu deren Stigmatisierung beitragen. Dieses Problem lässt sich aber lösen, wenn man gegenüber den anderen Patienten verschweigt, wer diese Armbänder trägt und warum.
Wie ist das Verhältnis von Autonomie und Sicherheit bei Demenzkranken zu bewerten?
Die Sicherheit hat Vorrang vor der Autonomie. Der Autonomiegedanke ist bei Demenzkranken völlig abwegig, da sie im fortgeschrittenen Krankheitsstadium nur noch sehr eingeschränkt über die Folgen ihres Handelns urteilen können. Bei sehr jungen Kindern wird auch alles getan, um die Sicherheit zu gewährleisten; man nimmt Einschränkungen ihrer Autonomie in Kauf.
Wer sollte entscheiden, ob ein Patient ein solches Armband bekommt?
Der Demenzkranke ist nicht mehr in der Lage zu verstehen, warum ihm das Armband hilft, eine Gefahr zu verringern. Hier ist der Angehörige gefordert. Er muss auf das Problem der Demenz und der damit verbundenen Weglauftendenz und Desorientierung hinweisen. Alte Menschen werden wegen verschiedenster Krankheiten in Krankenhäuser eingewiesen, aber nicht wegen Demenz. Die ist nur ein Begleitsymptom. In der Regel ist der Angehörige sehr an der Sicherheit des demenzkranken Patienten interessiert.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um die Sicherheit für Demenzkranke in Krankenhäuser zu erhöhen?
Die Maßnahmenpläne der Sicherheitsbeauftragten in den Krankenhäusern sollten auch den Fall berücksichtigen, dass ein Demenzkranker verschwindet. Dann sollte sofort nach ihm gefahndet werden. Dafür ist es allerdings notwendig, dass ein Patient rechtzeitig vermisst wird – nicht erst nach einem ganzen Tag, sondern schon möglichst schon bei der nächsten Mahlzeit.
Interview: Nadja Dumouchel