: Fragwürdige Alzheimer-Mittel
Eine sehr häufig gegen Alzheimer verschriebene Gruppe von Arzneimitteln steht jetzt auf dem Prüfstand. Sie seien relativ teuer und wirkten kaum, sagen Kritiker. Einige Mediziner hingegen setzen weiterhin auf die umstrittenen Antidementiva
VON KLAUS-PETER GÖRLITZER
Rund eine Million Menschen hierzulande leben mit Demenz, überwiegend vom Alzheimer-Typ. Laut Prognosen, verbreitet vom Robert-Koch-Institut, wird sich die Zahl der Betroffenen bis 2040 etwa verdoppelt haben. Die Erkrankung beginnt meist im Rentenalter mit schweren Störungen von Gedächtnis und Denkvermögen; sie mündet in Pflegebedürftigkeit und ist bisher nicht heilbar.
Zwecks Symptomlinderung verschreiben Ärzte am häufigsten gingkohaltige Präparate. Mehr als die Hälfte der Behandlungskosten entfallen jedoch auf Acetylcholinesterase(AChE)-Hemmer und Memantin, deren Anteil an den Antidementiva-Verordnungen bei 20 Prozent liegt. Die vergleichsweise teuren Medikamente sollen das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen können.
Vor diesem Hintergrund bearbeitet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen heiklen Auftrag: Das noch von Rot-Grün installierte, unabhängige Kölner Institut vergleicht derzeit, welchen Nutzen langfristige Behandlungen mit Pharmapräparaten und nichtmedikamentösen Therapien bei Menschen mit Alzheimer haben. Zu diesem Zweck wertet das IQWiG zahlreiche klinische Studien aus.
Auftraggeber ist der „Gemeinsame Bundesausschuss“ (G-BA). In diesem mächtigen Gremium handeln Vertreter von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken aus, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden müssen und welche nicht. Seine Nutzenbewertung zu AchE-Hemmern will das IQWiG voraussichtlich im Herbst veröffentlichen.
Was er persönlich von Antidementiva hält, hatte der Leiter des IQWiG, Professor Peter Sawicki, frühzeitig durchblicken lassen: Mitte 2004, gut ein halbes Jahr vor Annahme des G-BA-Auftrags, sagte Sawicki in einem Zeitungsinterview: „Das Werben der Pharmaindustrie fällt bei vielen Ärzten wie Patienten auf fruchtbaren Boden. Das sehen wir derzeit bei Mitteln gegen Demenz, die sehr wahrscheinlich gar keine wesentlichen positiven Effekte haben.“
Ganz anders positioniert haben sich diverse Wissenschaftler mit guten Kontakten zur Pharmaindustrie. Weihnachten 2005 erschien im Deutschen Ärzteblatt (DÄB) ein in Fachkreisen viel beachteter Aufsatz, Titel: „Evidenzbasierte medikamentöse Therapie der Alzheimer-Erkrankung“. Verantwortlich zeichnet eine achtköpfige Autorenrunde um Matthias W. Riepe, Professor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Berliner Universitätsklinikums Charité. Die Behandlung mit AChE-Hemmern wie Donepezil, Galantamin und Rivastigmin entspreche „dem Stand des ärztlichen Wissens“, schreiben die Experten. Die Medikamente müssten sämtlichen „Patienten mit leichter bis mittelschwererer Alzheimerdemenz“ gegeben werden – ohne zeitliche Begrenzung. Bei mittelschwerer bis schwerer Ausprägung sei Memantin zu empfehlen.
Dass die Präparate wirksam seien, etwa kognitive Leistungsfähigkeit und Alltagskompetenz von Menschen mit Alzheimer verbesserten, hätten klinische Prüfungen belegt. Jeder diagnostizierte Betroffene, der die Rahmenbedingungen der Zulassungsstudien erfülle, müsse mit den angebotenen Wirkstoffen behandelt werden – „unabhängig vom Therapieerfolg, der vom Arzt beim einzelnen Patienten beobachtet wird“. Eine Pflicht, die Wirksamkeit der Medikamente beim Kranken zu kontrollieren, werde standesrechtlich nicht gefordert.
Der Aufsatz von Riepe und Kollegen provozierte Leserbriefe – durchgängige Tendenz der im DÄB gedruckten Reaktionen: heftiges Kopfschütteln. So erinnerten die Pflegewissenschaftlerin Gabriele Meyer und der Hausarzt Günther Egidi an eine Metaanalyse des Hamburger Instituts für Allgemeinmedizin. Die Untersuchung, im August 2005 im British Medical Journal publiziert, hatte den bisher vorliegenden klinischen Studien zu AChE-Hemmern zahlreiche methodische Mängel bescheinigt.
Zu Wort meldete sich auch der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. „Wissenschaftlich belegt“, schreibt Professor Bruno Müller-Oerlinghausen, sei die Wirksamkeit von AChE-Hemmern in Studien nur für etwa 12 bis 24 Wochen. Eine nachfolgende Therapiephase sei „experimentell“ und erfordere besondere Kontrolle, zumal „ein erheblicher Teil“ der Patienten gar nicht von der Behandlung profitiere. „Ein unkontrolliertes Fortführen einer Pharmakotherapie“, so Müller-Oerlinghausen, „nützt keinesfalls dem wohlverstandenen Interesse von Arzt oder Patient, allenfalls dem Hersteller.“
Die Branche weiß die Gruppe um Professor Riepe durchaus zu schätzen. Fünf der DÄB-Autoren haben, laut eigenen Angaben, finanzielle Zuwendungen mehrerer Pharmaunternehmen erhalten – deklariert als Vortragshonorar, Reisekostenerstattung oder Unterstützung von Medikamentenstudien.
Finanziell gefördert wurde die DÄB-Publikation außerdem vom „Kompetenznetz Demenzen“. Den Kern des 2002 initiierten Forschungsverbundes bilden 14 universitäre, vornehmlich psychiatrische Zentren. Beteiligt sind außerdem niedergelassene Ärzte, Pharmahersteller und die Selbsthilfeorganisation „Deutsche Alzheimer Gesellschaft“. Als Hauptgeldgeber wird das Bundesforschungsministerium bis Mitte 2007 rund 12,5 Millionen Euro in das Netz gesteckt haben; die Prüfpräparate für Medikamentenstudien steuern die Hersteller Janssen-Cilag und Merz Pharmaceuticals bei.
Der Demenz-Verbund, an dessen Projekten sich 4.800 Patienten beteiligen, setzt vor allem auf medikamentöse Therapievarianten. „Besonders viel versprechend“ und erprobenswert erscheint den Demenz-Netzwerkern „die Behandlung mit einer Kombination zweier Substanzen“: das gleichzeitige Verabreichen von Galantamin und Memantin.