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Archiv-Artikel

Dafür umso mehr Bein

EXZENTRIK Der Bildband „Valeska Gert. Tanz Fotografien“ ermöglicht die Begegnung mit einer der schillerndsten Kabarett- und Tanz-Künstlerinnen der Weimarer Republik

Der rote Kragen zum Kostüm der „Canaille“, Gerts berühmtesten Tanz zwischen 1919 und 1931, muss eine sagenhafte Anziehungskraft gehabt haben. Eine „sensitive Hure“ nannte sie die Figur

VON FRANZISKA BUHRE

Sie liebte Schals, Tücher und Kragen in allen erdenklichen Variationen. Leichte Stoffe um den Hals geschlungen oder fest gebunden, den abnehmbaren Bubikragen frivol kombiniert zu einem ärmellosen Oberteil und Spitzenhöschen oder zu Jacke und Rock mit überdimensioniertem Schachbrettmuster.

Fast nie zeigt die Tänzerin Valeska Gert im Fotostudio einen tiefen Ausschnitt, dafür umso mehr Bein, die Füße meist in zeittypischen Riemchenschuhen mit Absatz. Die Seidenstrümpfe bis zum Knöchel nach unten gerollt oder knapp über den Knien, absichtlich ohne Strumpfbänder. Der rote Kragen zum Kostüm der „Canaille“, Gerts berühmtesten Tanz zwischen 1919 und 1931, muss eine sagenhafte Anziehungskraft gehabt haben. Die „sensitive Hure“, wie Gert die Figur nannte, neigt das Kinn in diesen roten Kranz und öffnet die Beine.

Die Farbigkeit von Valeska Gerts Kostümen lässt sich beim Betrachten der Abbildungen im schmalen Band „Valeska Gert. Tanz Fotografien“, der jüngst im Kölner Wienand Verlag erschienen ist, natürlich nur erahnen. Hedwig Müller, Leiterin der Theaterwissenschaftlichen Sammlung der Universität zu Köln, hat ihn mit rund 50 Fotografien von Gerts Tänzen aus ebenjenem Archiv bestückt und mit Aufsätzen der Tanzforscherin Kate Elswit und des Biografen von Valeska Gert, Frank-Manuel Peter, angereichert. Es wird Müllers Geheimnis bleiben, warum ausgerechnet die großformatigen Fotos auf rostrotem Untergrund bestehen müssen.

Ebenso, warum die wenigsten datiert sind, obwohl einige in früheren Publikationen zu Valeska Gert, die von 1892 bis 1987 lebte, ein Datum aufweisen. Von den meisten Bildern allerdings sind die Fotografen bis heute unbekannt – ein erschreckender Befund angesichts der Bedeutung Valeska Gerts für den Tanz in der Weimarer Republik und ihrer Vorreiterolle für spätere grenz- und medienüberschreitende Kunstformen in Subkulturen, Performance und Film.

Valeska Gert spiegelte dem Publikum ihrer Zeit dessen Vorlieben für leichte Unterhaltung, wie etwa mit den Typisierungen der „Chansonette“ oder „Diseuse“, sie verwies mit dem „Zirkus“ oder der „Japanischen Groteske“ auf Amüsements, die den Zenit ihrer Beliebtheit bereits überschritten hatten. Als „Clown“ weckte sie Assoziationen mit Charlie Chaplin, als „Amme“ quäkte sie furchteinflößend nach dem verloren gegangenen Kind.

Die Fotografien zeigen eher typische Posen der jeweiligen Figuren als die Tänze selbst. Deutlich wird Gerts Lust an der Verkleidung und an der Vorführung ihres beträchtlichen Arsenals an Gesichtsausdrücken, die ihren Körper zu orchestrieren scheinen. Ihre Haare drapiert sie mal zerzaust vor dem Gesicht, mal akkurat gescheitelt, den Bob mal mit raspelkurzem Pony, mal bis zu den Augenbrauen. Weil die Fotos im Buch nicht chronologisch geordnet sind, kann man höchstens vom Anblick Gerts auf den jeweiligen Entstehungszeitraum schließen.

1939 emigrierte Valeska Gert, der die Nationalsozialisten keine Auftrittsmöglichkeiten in Deutschland gelassen hatten, in die USA und eröffnete in New York die Beggars Bar, Kabarett und Restaurant. Zehn Jahre später kehrte sie nach Deutschland zurück, trat wenige Jahre im Nachkriegsberlin auf, bevor sie auf Sylt ein Nachtlokal eröffnete.

Kate Elswit legt an diesen Weg eine Theorie des „dreifachen Exils“ an. Zuerst habe Gert als Künstlerin bewusst die Rolle einer Außenseiterin gewählt, da sie gesellschaftliche Randfiguren verkörperte, dafür vom bürgerlichen Publikum aber durchaus gefeiert wurde. Als Deutsche und Europäerin habe Gert in den USA schließlich zu „fremd“ gewirkt, als dass sie noch hätte provokativ sein können und deshalb ihre Beggar Bar in New York eher aus wirtschaftlichen denn aus künstlerischen Gründen betrieben. Zurück in Berlin sei Gert deplatziert gewesen und die Auswirkung der Exilerfahrung auf die Wahl ihrer Darstellungsmittel seien nicht anerkannt worden.

Leider basiert Elswits Theorie auf nur wenigen Quellen aus der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg und steht somit auf wackligen Beinen. Sorgfältige Quellenstudien zu Gert hat es seit der Biografie von Frank-Manuel Peter aus dem Jahr 1985 nicht mehr gegeben.

Ein möglicher Ausgangspunkt für erhellende Einsichten ist das im Buch aufgeführte „Vorläufige Werkverzeichnis der Tänze von Valeska Gert bis 1933“, das im Internet weiter ergänzt werden soll. Es ist eine Auflistung aller bisher nachweisbaren Tänze und Aufführungsdaten. Von vielen Tänzen ist bisher kein Foto bekannt und allein die sprechenden Namen sind übrig geblieben: „Bauerntanz“, „Modedame“, „Jugend im Mai“ oder „Jazzband“.

■ Hedwig Müller (Hg.): „Valeska Gert. Tanz Fotografien“. Wienand Verlag, Köln 2013, 12,80 Euro