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Archiv-Artikel

Ehrlich währt seit kurzem

My House Is Your House – Labels in Berlin (IX): Kein schickes Hauptstadtding, dafür aber ehrlich, freundlich, gut – die Jungs vom Sinnbus-Label betreiben den Generationswechsel in der Indie-Szene

VON ANDREAS HARTMANN

„Sie sind nicht eines dieser typischen Hauptstadtdinger“, stellte jüngst auch schon das Online-Jugendmagazin Jetzt.de fest. Und es stimmt ja: Beim Label Sinnbus findet sich ausnahmsweise mal kein Hauptstadt-Schick, kein Hype-Gebaren, kein Fashion-Treiben. Dem Friedrichshainer Label, das sich selbst als Netzwerk versteht, geht es um so abgedroschene Dinge wie Ehrlichkeit, Freundschaft und den Glauben an das Gute. Um schlagwortartige Independent-Werte also, an die man eigentlich nicht mehr glauben mag, weil man in der Rockmusik viel zu oft erleben musste, wie die lieblich klingende „Ehrlichkeit“ dazu benutzt wurde, einfach noch mehr Platten zu verkaufen.

Doch wenn man die Jungs von Sinnbus in ihrem Büro in Friedrichshain trifft, diese unglaublich netten, allürenfreien Jungs, dann kann man sich tatsächlich nicht vorstellen, dass sie mit ihrer Indie-Masche den Traum verfolgen, irgendwann auch eines dieser „typischen Hauptstadtdinger“ zu werden. Es geht schon damit los, dass einer der Betreiber, Florian Koller, der wie alle sieben Hauptverantwortlichen von Sinnbus auch noch in einer Band spielt, bei Seidenmatt, mit dem Begriff Büro für die Labelbehausung nichts anfangen kann. Allein schon, weil er sich nicht vorstellen kann, dass in echten Büros randvoll mit Kippen gefüllte Gläser herumstehen. Viel besser gefällt ihm: „Treffpunkt“. Weil es keine geregelten Bürozeiten gibt und jeder seinen Beitrag zum Funktionieren von Sinnbus leistet – wie es der Stundenplan an der Uni eben zulässt. Weil es ein ständiges Kommen und Gehen ist hier.

Zwischendurch schaut mal einer von Kate Mosh vorbei, fummelt ein wenig an einem der Rechner herum und geht dann wieder. Kate Mosh sind eigentlich auch eine Sinnbus-Band. Doch sie haben ihr Debütalbum im April bei einem anderen, größeren Berliner Label veröffentlicht und werden nun überall als, nun ja, neues Hauptstadtding gefeiert.

Sinnbus ist noch nicht so weit, eine Band wie Kate Mosh groß machen zu können. Peter Gruse, der sich um die Pressekontakte kümmert, gibt das unumwunden zu. Man lerne noch, sagt er, bis vor kurzem habe man noch überhaupt keine Ahnung gehabt, wie man mit der Presse umzugehen habe, wie Promotion funktioniert, wie das ganze Musikbusiness überhaupt tickt. Gruse sagt das nicht resignativ, sondern mit dem Bewusstsein, dass es ja immer besser läuft.

Seit Ende 2000 gibt es Sinnbus. Gegründet wurde es in Karlshorst, kurz hinter Lichtenberg, da, wo man als Popinteressierter nur lebt, wenn man dort geboren wurde. Das Label ist ein echtes Ostgewächs, am Rand der Stadt entstanden, und tastet sich nun von Friedrichshain aus, wo man sich die „Büro“-Miete gerade noch so leisten kann, langsam vor. Von Anfang an ging es den Labelmachern darum, den eigenen Bands, wie etwa Seidenmatt, Torchous und Ampl:tude, erstmal eine Plattform zu geben. All diese Bands sind im Spannungsfeld zwischen Postrock und Hardcore anzusiedeln, einer Musik, die in den letzten Jahren megaout war und für die die Leute sich erst seit kurzem wieder stärker interessieren.

Inzwischen ist Sinnbus eine Marke geworden für eine undogmatische junge Szene, die keine Abgrenzungskämpfe mehr führen muss wie damals Hardcore gegen Punk, Punk gegen Pop oder Pop gegen Elektronik. Das Spektrum auf Sinnbus ist breit und wird immer breiter. Eben hat man die neue Platte von Kinn herausgebracht, einem Berliner Projekt um den Soundtüftler FS Blumm. Peter Gruse ist sichtlich stolz auf die Veröffentlichung, die man freilich wieder nur einem kleinen Kreis Interessierter zugänglich machen können wird. Einen richtigen Nerv scheint ein Label mit Projektcharakter trotzdem zu treffen.

Viele Labels, die sich in der Stadt einen Namen gemacht haben, wie Kitty Yo oder Monika, haben sich etabliert und ziehen nun recht professionell und routiniert ihre Sache durch. Bei Sinnbus regiert dagegen der DIY-Gedanke, das „Do it yourself“: Fehler dürfen dabei gemacht werden, Businesspläne sind verboten. Man verwaltet noch nichts, sondern spürt auf, schnuppert herum, inzwischen sogar europaweit: Mit Audrey hat man eine Mädchenband aus Schweden mit im Programm, und Barra Head kommen aus Dänemark.

Die knapp über Zwanzigjährigen von Sinnbus stehen für etwas Neues in Berlin, das noch am Wachsen ist. Mit dem, was vor kurzem noch als Berliner Szene galt, mit Mina, Contriva und wie diese Bands alle hießen, haben sie keinerlei Berührungspunkte – obwohl man ihnen musikalisch so unähnlich nicht ist. „Zu diesen ganzen alten Leuten haben wir keinen Kontakt“, sagt Martin Eichhorn, und Florian Koller ergänzt: „Wir machen jetzt den neuen Sound.“ Das klingt jetzt vielleicht doch wieder nach Klappe-Aufreißen und Größenwahn-Strategie. Doch nein, eigentlich klingt es nur: ehrlich.

Morgen, 20 Uhr: „Sinnbus Signale schmust mit Kitty-Go“: Seidenmatt, Torchous & Sister Love (live), Sinnbus-DJs, Stadtbad Oderberger Straße