: „The Germany can me leckn!“
AUFBRAUSEND Die Briefe Arno Schmidts erscheinen in einer repräsentativen Auswahl und lassen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig
VON TOBIAS SCHWARTZ
Schade! Sie ist bedauerlich flach“, schreibt Arno Schmidt am 22. Mai des Jahres 1950 an Hermann Hesse über dessen Rezension seines (Debüt-)Erzählbandes „Leviathan“ und sendet ihm „als Gegengabe“ seinerseits eine Werkbeurteilung: Der Nobelpreisträger sei zwar ein „begabter Dichter“, allerdings fehlten ihm Urphänomenerlebnisse wie „Soldat sein müssen, Krieg, Kriegsgefangenschaft, Hunger“. Folglich habe Hesses Stimme „keinen großen Umfang“ und enthalte „nur wenige Töne“, diese aber seien „vom schönsten Wohlklange“ – eine knallharte L’art-pour-l’art- wenn nicht Kitschunterstellung an einen potenziellen Förderer also. Und das auf einer schnöden Postkarte.
Heute würde man Schmidt, der kommenden Samstag 100 Jahre alt würde, wohl einen Nerd nennen. Zu Lebzeiten galt dieser berühmte Außenseiter der deutschen Nachkriegsliteratur mit seinen Steckenpferden Karl May, Friedrich de la Motte Fouqué oder Edgar Allan Poe als komischer Kauz und Eigenbrötler. Von der „Gruppe 47“ und den meisten seiner Zeitgenossen hielt er nicht eben viel, von sich selbst dagegen umso mehr. Legendär war sein aufbrausendes Temperament, hart waren seine Urteile – jedenfalls in literarischen Dingen.
Innerhalb der Bargfelder Ausgabe der Werke Schmidts sind bereits fünf umfangreiche Bände mit Korrespondenzen des nicht gerade zu den umgänglichsten Menschen zählenden Autors erschienen. In einer repräsentativen Auswahl, die sich chronologisch über einen Zeitraum von vierzig Jahren erstreckt, folgen jetzt bei Suhrkamp rund 150 größtenteils bislang unveröffentlichte Briefe des Einsiedlers in der Lüneburger Heide. Sie bieten Einblicke in seine Werkstatt, dokumentieren sein Selbstverständnis als Schriftsteller und entwickeln zum Teil eigenen literarischen Charakter. Außerdem erzählen sie von seinen oftmals heiklen Lebensumständen, von den Mühen der schriftstellerischen Anfänge und sich nie ganz legender finanzieller, mithin existenzieller Nöte.
„Ich bin seit einigen Jahren so weit, dass die deutsche Literatur für mich mit Stifter und Storm aufhört“, schreibt der 1914 in Hamburg-Hamm geborene Polizistensohn kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges großspurig an seinen Schulfreund, den späteren Russischlehrer Heinz Jerofsky, dessen Erinnerungen an Schmidt in dem biografischen Materialband „Wu Hi?“ nachzulesen sind. Ganz abweichen wird er von seiner abschätzigen, meist offensiv arroganten Meinung nie, auch wenn er anderen Autoren wie vor allem seinem Fan und späteren Übersetzerkollegen Hans Wollschläger durchaus Anerkennung zuteil werden lässt.
Das Spektrum der Adressaten ist breit: von seiner Mutter und seiner Frau Alice, deren Tagebücher die Hintergründe zu mancher Korrespondenz liefern – „A. ist nicht abzubringen, Hesse eine ziemlich grobe Postkarte zu schreiben“ – und durchaus abweichende Ereignisschilderungen enthalten, über Flüchtlingsminister, Bargfelder Bürgermeister oder Fallingbosteler Pastoren bis zu Schriftstellerkollegen und Lektoren wie Alfred Andersch, Ernst Krawehl oder auch den mit ihm sympathisierenden Heinrich Böll.
Über den zieht Schmidt wiederum uncharmant vom Leder: „Eine Aussprache hat der Mann: Wenn man die Augen zudrückt, glaubt man, neben Adenauer zu sitzen.“
„The Germany can me furchtbar leckn!“, schreibt Schmidt Ende der Fünfziger an Andersch. Grund genug hat er, wurde er doch nach Erscheinen seiner meisterhaften Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“ wegen Gotteslästerung und Verbreitung unzüchtiger Schriften, also Pornografie, angeklagt. Er zieht sogar extra aus dem katholischen Kastel ins protestantische Darmstadt, wo das Verfahren gegen ihn dann eingestellt wurde. Umso irritierter äußert sich Schmidt später über eine Beifallsbekundung Helmut Kohls – „dem CDU=Vorsitzenden; just think of that!“ (1979 an Andersch) –, während er sich über Glückwünsche zum 1973 erhaltenen Goethe-Preis beim Bundespräsidenten Heinemann und beim Bundeskanzler Willy Brandt artig bedankt.
Klar, Arno Schmidt, der große Schriftsteller, konnte auch ein ziemlich nerviger Korinthenkacker sein. Zugleich sind die Briefe das Werk betreffend überaus erhellend – und nicht zuletzt herrlich amüsant.
■ Arno Schmidt: „Und nun auf, zum Postauto!“. Briefe. Suhrkamp, Berlin 2013, 295 Seiten, 29 Euro