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Archiv-Artikel

Am Essen lag’s nicht

Seine Fitness wurde immer wieder angezweifelt. Jetzt ist Jan Ullrich nicht am Essen, sondern am Doping gescheitert

AUS STRASSBURG SEBASTIAN MOLL

Die Radprofis des Teams T-Mobile mit ihrem Kapitän Jan Ullrich bogen gerade in ihrem klimatisierten Reisebus in die Auffahrt zum Golfhotel in Plobsheim bei Strasbourg ein, als das Handy von Mannschaftsdirektor Olaf Ludwig klingelte. Am anderen Ende der Leitung war Teamsprecher Christian Frommert, der von der Hotel-Terrasse aus anrief, wo Journalisten auf die Präsentation des Kaders für die Rundfahrt warteten. Ludwig, so die Order, solle den Busfahrer sofort zum Umdrehen bewegen.

Es war eine Fahrt mit Symbolkraft für Jan Ullrich. Das Ziel vor Augen und doch unerreichbar – das ist eine Erfahrung, an die sich der Rekordzweite der Tour de France in den vergangenen Jahren wohl gewöhnt haben dürfte. Diesmal war die Umkehr jedoch endgültig

Die Geschäftsführung von T-Mobile wollte nämlich Jan Ullrich gestern nicht nur von der wartenden Presse fernhalten. Der Konzern hatte in den Minuten vor dem Medientermin beschlossen, Ullrich ganz aus der Tour de France zu nehmen. Eine Kündigung war das noch nicht, doch es erscheint im Moment eher unwahrscheinlich, dass Ullrich jemals wieder das rosafarbene Trikot seines Arbeitgebers überstreifen wird, das er seit beinahe 13 Jahren getragen hatte.

Seit im Mai sein Name erstmals mit einem spanischen Dopingdealer-Ring in Verbindung gebracht wurde, beteuerte Ullrich, nie etwas mit dem Madrider Arzt Eufemanio Fuentes und seinen Schergen zu tun gehabt zu haben. Nur Minuten bevor er sich als Tour-Favorit im Golfhotel strahlend vor die wartenden Kameras stellen konnte, bekam die T-Mobile-Teamleitung jedoch ein Fax von der Tour-Organisation. Es enthielt Gerichtsdokumente aus Spanien, die, so Mannschaftssprecher Frommert, begründete Zweifel an Ullrichs Aufrichtigkeit hatten aufkommen lassen.

Es ist noch nicht erwiesen, dass Ullrich tatsächlich gedopt hat. Das wird in den kommenden Wochen das spanische Verfahren zutage fördern oder etwaige Untersuchungen, die nun die Radsportverbände einleiten. Vielleicht wird Jan Ullrich darum kämpfen, seine Unschuld zu beweisen. Es steht jedoch fest, dass er diese Tour nicht bestreitet.

Es sollte seine letzte Tour sein

Sie sollte seine letzte sein, die, mit der er seine epische und stets unvollendete Karriere zu einem guten Ende bringen wollte. Neun Jahre lang, seit seinem Tour-de-France-Sieg 1997, löste er das Versprechen, das sein großes Talent gegeben hatte, nicht ein. Dieses Jahr, nachdem sein Dauerbezwinger Armstrong abgetreten war, sollte es endlich klappen. Ullrich wollte siegen, seinen Frieden finden und sich dann zurückziehen. Jetzt wird die Laufbahn des deutschen Sporthelden wohl auf ewig unvollendet bleiben.

Nachdem der Mannschaftsbus kurz vor dem Golfplatz von Plobsheim abgedreht hatte, fuhr er in das Fachwerkörtchen Blaiseheim zurück, wo die T-Mobile-Mannschaft im Landgasthof Le Bouef Quartier bezogen. Jan Ullrich verkroch sich auf sein Zimmer und ließ sich auch nicht von der rasch wachsenden Reporterhorde unter seinem Fenster ans Tageslicht drängen. Es sind sicherlich Welten in ihm zusammengebrochen. Aber möglicherweise hatte er auch so etwas wie Erleichterung verspürt.

Die Vollendung seiner Karriere, der zweite Sieg, die Nutzung seiner nach einhelliger Expertenmeinung äußerst raren körperlichen Möglichkeiten, war für Ullrich immer auch ein Fluch. Schon nach seinem ersten Toursieg floh er aus Deutschland in den Urlaub, als er die Ansprüche der Medien, der Fans und der Sponsoren zu spüren begann. Er kam übergewichtig und völlig außer Form wieder zurück. Danach lieferte Ullrich Jahr für Jahr dasselbe schmerzhaft anzuschauende Schauspiel ab. Er drückte sich in der rennfreien Zeit vor der nötigen Trainingsarbeit, schien stets mit sich selbst zu ringen, ob er überhaupt noch Rad fahren will. Als ihm dann im Frühjahr keine echten Alternativen einfielen, riss er sich zusammen und bastelte dank seiner Begabung und mit einem unheimlichen Kraftakt bis zur Tour noch eine ordentliche Form hin. Zum Siegen reichte das nie.

2002 brach dieses psychologische Kartenhaus zusammen. Ullrich verletzte sich, konnte den Ansprüchen, denen er sich nicht zu entziehen vermochte, nicht gerecht werden, flüchtete sich orientierungslos in Alkohol und Drogen. Er wurde von seinem Rennstall gefeuert, tauchte ab und musste sich beruflich wie privat ein neues Umfeld schaffen.

Comeback im neuen Umfeld

Zu diesem Umfeld gehörte vor allen Dingen Rudy Pevenage, der mit Ullrich zusammen das Team T-Mobile verließ. Pevenage bereitete im Stillen Ullrich auf sein Comeback vor, das dann 2003 mit der knappen Niederlage gegen Armstrong auch famos gelang. Ullrich und Pevenage wurden daraufhin ehrenvoll wieder in die Werksportgruppe des Telekommunikationsriesen aufgenommen.

Beide sind nun bei T-Mobile erneut vor die Tür gesetzt worden. Es liegt nahe, dass Pevenage es war, der Ullrich mit dem spanischen Dopingarzt Fuentes zusammenbrachte. Mit jenem Sportmediziner, der nun Ullrich sowie mehr als 50 weitere Fahrer und die gesamte Tour de France in den Abgrund gezogen hat.

Bis 2002 war Jan Ullrich fünf Jahre lang von der Unfähigkeit zerfressen, sich von den Ansprüchen frei zu machen, die er nie als seine eigenen annehmen konnte. Möglicherweise zeigte Pevenage ihm einen einfachen Weg, alles mit einem schnellen erneuten Sieg hinter sich zu bringen. Im Nachhinein wäre es für Ullrich vielleicht besser gewesen, man hätte ihn damals gleich in Ruhe gelassen. Er mochte nie wirklich der schillernde Sportheld sein, den so viele in ihm sehen wollten. Jetzt ist er nicht nur kein Heroe geworden, sondern womöglich zum Kriminellen. Und zur Symbolfigur für einen Sport, der nicht in der Lage ist, sich zu hinterfragen.