: „Du bist okay, Olle“
TENNIS Seit 2011 hat Andrea Petkovic nicht mehr in Melbourne gespielt. Sie hofft vor allem, dass sie endlich einmal ohne schwere Verletzungen aus Australien zurückkehren kann
ANDREA PETKOVIC
AUS MELBOURNE DORIS HENKEL
Die Spanier warteten höflich, wenn auch leicht ungeduldig, bis sie den letzten Ball beim Training gespielt hatte, dann öffnete Rafael Nadal das kleine Tor zu Court 5 und ließ seine Schläger neben dem Stuhl fallen, auf dem Andrea Petkovic gerade Platz genommen hatte. Im Hintergrund glitzerten Melbournes Wolkenkratzer unter blauem Himmel, und die Szene passte perfekt zur bekannten und allseits beliebten Lässigkeit kurz vor dem Beginn des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres.
Mit dieser Mischung konnte Petkovic schon immer eine Menge anfangen, aber es ist sicher nicht übertrieben zu behaupten, sie genieße all das mehr als je zuvor. „Ich hab’s sehr, sehr vermisst, als ich weg war“, sagte sie, nachdem sie den Platz der Arbeitsgruppe Nadal überlassen hatte, „und ich hoffe, dass ich diesmal in einem Teil nach Hause kommen werde.“
Wenn es eine Stadt gibt, die in ihrem Kosmos für Hoffnungen und schmerzhafte Rückschläge gleichermaßen steht, dann ist das Melbourne. Hier zog sie sich vor sechs Jahren einen Kreuzbandriss zu, hier landete sie vor drei Jahren zum ersten Mal im Viertelfinale eines Grand-Slam-Turniers, und hier kam sie 2012 und 2013 gar nicht erst an. Vor zwei Jahren endete die Reise nach Australien schon in Sydney, wo eine Stressfraktur im Iliosakralgelenk festgestellt wurde, im vergangenen Jahr zog sie sich beim Hopman-Cup in Perth einen Riss im Meniskus zu.
Wie die anderen in Melbourne spielten, das nahm sie später durch einen Schleier der Verzweiflung nach ihrer vorzeitigen Rückkehr nach Deutschland wahr. Das alles zu vergessen, ist nicht leicht, aber sie ist guter Dinge, dass es klappen könnte; sie wolle die schlechten Erinnerungen durch gute ersetzen.
Die Erfahrungen vom Vorbereitungsturnier in Brisbane sind gut. Trotz einer Niederlage in der zweiten Runde gegen Serena Williams hatte sie das Gefühl, phasenweise auf Augenhöhe mit der Nummer eins des Frauentennis zu spielen. Sie fühlt sich wohl in ihrer perfekt getönten Haut, sie ist fit und sie glaubt, mit den eigenen Erwartungen inzwischen besser umgehen zu können. „Ich bin nach wie vor ehrgeizig“, gibt sie zu, „aber ich verurteile mich nicht mehr so, wenn es nicht läuft. Ich kritisiere mich nicht mehr als Persönlichkeit, sondern nur noch als Spielerin und kann auch nach Niederlagen sagen: Du bist immer noch okay, Olle.“
Das finden die anderen ja ohnehin. Bevor es losging, trafen sich die acht deutschen Spielerinnen mit Bundestrainerin Barbara Rittner zum Essen beim Italiener. Darunter war Angelique Kerber, die am Montag das Turnier mit dem ersten Spiel in der Rod Laver Arena quasi eröffnet, und auch Sabine Lisicki, die beim Training überraschend eine prominente Helferin präsentierte, Martina Hingis. Die frühere Nummer eins wird dem Team Lisicki während der Australian Open mit Rat und Tat zur Seite stehen, ob was Dauerhaftes daraus werden kann, ist einstweilen nicht abzusehen. Beim Essen saß auch Lisickis Freund Oliver Pocher am Tisch; wie man hört, soll er sich anständig benommen haben.
Andrea Petkovic weiß noch nicht so recht, was sie von dem ersten Auftritt bei den Australian Open seit drei Jahren erwarten soll, aber schon die erste Partie am Dienstag gegen die an Nummer 32 gesetzte Magdaléna Rybáriková könnte Erkenntnisse bringen. Das werde ein schwieriges Match, sagt sie, gegen variabel spielende Gegnerinnen wie die Slowakin habe sie sich im vergangenen Jahr oft schwergetan.
Sie ist darauf vorbereitet, dass es vor allem wegen der äußeren Bedingungen eine heiße Angelegenheit werden könnte; Temperaturen um 40 Grad sind angekündigt. Ähnlich heiß war es auch beim Turnier in Brisbane, und damit hatte sie keine größeren Probleme. Während des Spiels vertraut sie neuerdings ganz alten Mitteln – sie nimmt Datteln mit. Wieso das? Als sie ausholt und erklärt, Nomaden überlebten in der Wüste bekanntlich mit Wasser und Datteln, wirkte das angesichts der glitzernden, modernen Hochhäuser im Hintergrund irgendwie skurril. Es gehörte ja schon immer zu den guten Ideen, die besten Dinge aller Welten miteinander zu kombinieren.