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Archiv-Artikel

Gegner: Germania II

Vor dem Halbfinale erinnert Italia 2006 ausgerechnet an Deutschland 2002: Mühsam, aber effizient, unschön, aber unbeugsam

AUS DUISBURG BERND MÜLLENDER

Siege haben es so an sich, dass im Überschwang der Begeisterung vieles vergessen wird. Italien steht im Halbfinale – das an sich ist keine Überraschung. Aber schon, dass es die Totti-Toni-Truppe trotz bislang undurchschaubarer Leistungsstärke geschafft hat. Wie stark Italien wirklich ist, weiß niemand zu sagen. Wahrscheinlich sind sie sich bei allem Selbstbewusstsein selbst nicht sicher. Aber sie lieben das Versteckspiel. All das macht Italien unberechenbar.

Die WM-Performance der Sqadra Azzurra ähnelt der von Deutschland 2002: Mühsam, aber effizient, unschön, aber unbeugsam. Gegen Ghana nicht gerade überlegen, aber eiskalt 2:0, ebenso wie später gegen die dezimierten Tschechen. Gegen die USA gab es ein 1:1 – aber da kam es mehr auf die Zahl der Fouls, Platzverweise und Kriegsersatztaten an. Quälend zäh war das glückliche 1:0 gegen Australien, das 3:0 gegen minderklassige Ukrainer klingt besser, als die Vorstellung war, ein beschönigendes Ergebnis.

Trainer Marcelo Lippi ist mit seinen modefremd gescheitelten weißen Haaren der optische Gegenentwurf zum gegelten Beautum seiner Elf. Er sagt kühl: „Wir haben First-Class-Champions in der Abwehr. Jeder hilft immer jedem.“ Überragend hat bislang Fabio Cannavaro, 32, gespielt. Der Juve-Mann ist Feuermelder, Feuerwehrhauptmann und Feuerlöscher in einer Person. Er alarmiert lautstark, dirigiert die Abwehr und springt selbst vorneweg in die Bresche, wenn es brennt. Italien ist nach fünf Spielen noch ohne fremdes Gegentor. Nur Christian Zaccardo überwand die eigene Abwehr per Eigentor gegen die USA. Aber: Hatte nicht die mäßige Ukraine nacheinander drei grandiose Chancen kurz vor Luca Tonis 2:0 und insgesamt zwei Alutreffer gegen die Defensiv-Könner? Und musste Lippi nicht seinen Keeper Gianluigi Buffon für „sensationelle Paraden“ loben?

Italia gegen Germania ist auch der Klassiker für Nebenkriegsschauplätze und alte Klischees von Mafia, Mortadella, Panzern und Würsteln. Beidseitig der Alpen tobt längst der Boulevard. Für Empörung sorgte eine Glosse in Spiegel Online, die die italienischen Kicker als eitle Muttersöhnchen verhöhnte. Selbst der Heilige Stuhl gilt als gespalten: Wer jubelt für wen in Rom? Zuletzt wurde schon Rache für Bruno gefordert, den Tiroler Bären, den die bayerischen tedesci so link gemeuchelt haben. Die Süddeutsche Zeitung führte die Themen Kirche und Mord sogar zusammen und zitierte eine Italienerin, die den Bären aus dem Papstwappen des Bayern Ratzinger entfernt sehen will.

Zum dritten Mal hintereinander muss Italien gegen die Gastgeber ran. 1998 verloren sie gegen Frankreich (im Elfmeterschießen) und 2002, nicht zuletzt durch Tottis Platzverweis, gegen die aufgedrehten Südkoreaner (durch Golden Goal). Ein böses Omen? Unfug, sagen die Italiener kühl, zwei Spiele sind keine Serie und außerdem waren das Achtel- und Viertelfinals. Und legen lieber selbst die Latte hoch: Das Spiel in Dortmund, erklärt der heutige Teammanager Gigi Riva, sei „noch wichtiger als das Jahrhundertspiel von 1970“. Riva war damals unter den Torschützen beim legendären 4:3 in Mexikos Gluthitze.

Hat Italien heute in Dortmund weniger zu verlieren als die deutsche Elf, die bei den Wettbüros ein deutlicherer Favorit als gegen Argentinien ist? „Ich denke nicht in psychologischen Kategorien“, sagt Lippi. Alle reden im Panzerland vom neuen deutschen Stil, von Klinsmanns Revolution, vom Aufbruch in neue Zeiten. Was ihn an der deutschen Elf überrascht, wird Lippi gefragt. Kurzer Blick über die 70er-Jahre-Brille, dann sagt der alte Trainer-Fuchs nur: „Nichts.“